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Inhalt dieser Seite:
Teil 1: Copy & Paste ist Ent – und Re-Kontextualisierung
Teil 2: Fallbeispiel: ein Text wird passend gemacht
(+ Rechercheergebnis vom 06.11.2009)
Teil 3: Hintergrund und voraussichtliche Entwicklung
Teil 4: Zur Aufdeckung des Bosse-Schwindels
Teil 5: Die Rechercherergebnisse seit 15.11.2009
• Information zur Initiative
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Nach der Einleitung geht es auf dieser und der nächsten Seite um die detaillierte Rekonstruktion der Praktiken des Copy & Paste-“Journalismus“ des PDF-Anzeigenblattes „Eims-Net“ (Heimatblatt für Hamburg-Eimsbüttel). Wir zeigen hier aber nicht nur, WIE solche Leute die Recherche-Arbeit politischer Initiativen plündern (und welche „handwerklichen Fehler“ ihnen dabei unterlaufen), sondern auch, wie sie das „abgeschöpfte“ Material gegen die politischen Intentionen der Urheber wenden, indem sie es in eine reaktionäre Heimaterzählung einfügen, die ihrem Geschäftszweck nützt.
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(Teil 1)
„ … wie EIMS-NET jetzt belegt“
2006/2007 stellte der Eimsbüttler Turnverband in seinem Vereinsblatt „ETV-Magazin“ der Reihe nach seine früheren „Vereinsführer“ Robert Finn, Julius Sparbier und August Bosse vor. Grundlage der Artikel waren alte Texte aus der Nazizeit sowie Nachrufe aus den 1970er Jahren, die selbst wiederum aus Texten aus der Nazizeit bestanden bzw. von Leuten geschrieben waren, die einst in der NSDAP waren. Diese Artikelserie sowie weitere Texte über die „schönsten 12 Jahre“ des ETV , waren uns damals Anlass, die tatsächlichen Zusammenhänge aufzudecken – nicht zuletzt, weil uns durch das Bündnis des ETV mit der Hamburger Schill-Partei/CDU-Koalitition und mit der evangelikalen Klinikkette Agaplesion AG (zwecks Privatisierung des öffentlichen Sparbierplatzes) schon vorher gewisse „Traditionslinien“ aufgefallen waren. Die entsprechenden Texte zu Finn, Sparbier und Bosse stehen seit 2006 auf unserem weblog. Dort haben wir auch dargestellt, dass es die Nazis waren, die zwei öffentliche Plätze nach Sparbier und Bosse benannten und dass es der für das KZ Wittmoor zuständige SA-Brigadeführer und Chef der Hamburger Staatspolizei, Richter, war, der diese Umbenennung 1939 noch einmal würdigte. Unser Fazit lautete:
„Die noch heute gültigen Bezeichnungen der Plätze würde es also ohne die Nazis nicht geben.“
Wir haben auch einen Text aus dem „Hamburger Anzeiger“ vom 4. Mai 1933 dokumentiert, der zeigt, wie Bosse im Alter von 66 Jahren auf Vorschlag der Nazis zum „Führer des Bezirks III“ (laut Überschrift) bzw. zum „1. Vorsitzenden“ (laut Text) des Norddeutschen Sportverbandes bestimmt wurde. Dort werden auch die anderen Stationen von Bosse im Norddeutschen Fußballverband seit 1914 erwähnt.
Nach der Durchsicht aller Dokumente kamen wir also zu dem Ergebnis, dass beide Plätze von den Nazis nach diesen ETV-Funktionären benannt wurden, weil sie als Deutschvölkische den ETV bereits in den Jahren nach dem 1. Weltkrieg zu einem rechten Sammelbecken gemacht hatten, zu
„einer Stätte unberührt von der roten Flut, die mehr und mehr Deutschland überschwemmte, wo vaterländisch gesonnene Kameraden zusammentrafen.“ (ETV-Magazin „Der Eimsbütteler“ 1935).
Vor diesem Hintergrund schrieben wir damals: „Ob Bosse Mitglied der NSDAP war, ist bisher unklar. Obwohl er in den Nachrufen von 1935 (Hamburger Fremdenblatt, Hamburger Anzeiger) als „Alter Kämpfer“ bezeichnet wird, wird eine Parteimitgliedschaft nirgends explizit erwähnt.“
Die Frage nach der Mitgliedschaft steht auch nicht im Mittelpunkt unseres Interesses. Wichtiger ist uns, zu dokumentieren, was diese Leute konkret gesagt und getan haben. Schon bei Robert Finn, der seine Karriere bis Mai 1940 ohne Parteimitgliedschaft machte, war uns das wichtiger: was hat er als führender Akteur der NS-Kriegswirtschaft getan? Um den Nachweis seiner Parteimitgliedschaft bemühten wir uns erst, als deutlich wurde, dass der ETV die Halle wegen Finns tatsächlich relevanten Aktivitäten in der Kriegswirtschaft nie umbenennen würde. Wir haben das an anderer Stelle ausführlich dargestellt.
Bei Leuten wie Sparbier und Bosse stand bis ans Ende der Einsatz für einen strikt „vaterländischen“ Sport im Mittelpunkt. Als dann die „nationale Regierung Adolf Hitlers“ das Sagen hatte, waren sie begeistert, aber vor allem als das, was sie 60 Jahre geprägt hat – ALS völkische Sportler. Sparbier schrieb Ende 1933 unter der Überschrift „Erfüllung“ über die Nazis:
„SIE [!] bringen die Erfüllung all der Wünsche und Hoffnungen, die schon seit Jahren von vielen Turn- und Sportfreunden geäußert wurden… Nach anderthalb Jahrhunderten kommt endlich die Gewissheit, dass sich der neue deutsche Staat dauernd um die leibliche Förderung des deutschen Volkes kümmern wird. … Die Ideale Ludwig Jahns sollen endlich erlebte Wahrheit werden…“
(siehe hier).
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Die Beziehungen zwischen den Nazis und den völkischen Turnern – in der Deutschen Turnzeitung taucht der Begriff „völkisch“ erstmals 1897 auf – sind ein eigenes Thema. Ihr gemeinsamer Nenner war der Antisemitismus, aber ihre politischen Ziele waren vor 1933 nicht völlig identisch. Es gibt darüber wichtige Untersuchungen, die man kennen sollte, zum Beispiel: „Grundpositionen der deutschen Rechten 1871–1945“ und „Die Völkischen in Deutschland“ (Stefan Breuer, 1999 und 2008).
Obwohl all das seit 2006 auf unserem weblog ausführlich dargestellt wird (im Internet gibt es keine anderen kritischen Quellen zu Bosse), versuchte das PDF-Anzeigenblatt mit dem Satz „… wie EIMS-NET jetzt belegt“ ganz bewusst bei uninformierten Leuten den Eindruck zu wecken, bisher sei der Hintergrund der Namensgebung „August-Bosse-Platz“ kaum bekannt gewesen und Eims-Net bringe nun eine sensationelle Enthüllung:
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„Noch immer wird in Stadtplänen der Hansestadt der August-Bosse-Platz an der Heymannstraße genannt – hier wird ein völkischer NSDAP-Sympathisant geehrt. Auch der ETV führt in seinem Sportprogramm unkritisch den Bosse-Platz an.“
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Abgesehen davon, dass der ETV mit August Bosse nicht „unkritisch“, sondern bewusst affirmativ umgeht: An dieser Namensgebung hatte sich vor 2006 überhaupt niemand und seit 2006 außer uns überhaupt niemand gestört. Nicht gestört hat sie bislang auch die Macher des Anzeigenblattes und auch nicht die Heimathistoriker von der lokalen Geschichtswerkstatt „Galerie Morgenland“, aus deren Umfeld einer der beiden Schreiber des Bosse-Artikels in dem PDF-Heimatblatt kommt (siehe das Bosse-Zitat der Geschichtswerkstatt).
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Bei der Inszenierung des Bosse-Themas als „sensationelle neue Entdeckung“ , kommt es dem Anzeigenblatt selbstverständlich weder auf die historischen Tatsachen, noch auf eine zutreffende Darstellung der bisherigen Auseinandersetzung um diesen Platz an, der 2008 vom ETV endgültig (fast gleichzeitig mit dem Sparbierplatz) privatisiert wurde.
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„heftige ÖFFENTLICHE Proteste“
Ganz der Spektakel-Logik folgend, werden Tatsachen und Begriffe auf den Kopf gestellt. Alle verwendeten Begriffe und Stichwörter sind komplett von uns, was den einfachen Grund hat, dass sie sonst so nirgends nachzulesen sind, abgesehen von den Zeitungen, die uns zitieren und die dann gelegentlich von Eims-Net pauschal (ohne konkrete Zitate) erwähnt werden.
Aber es geht hier nicht allein um die lästige Abschreiberei und das bewusste Verschweigen der Quellen, denn die Methode hat auch eine politische Dimension:
So werden zum Beispiel von Eims-Net unsere Aktivitäten (bei denen uns 2006/2007 niemand unterstützte) nicht als solche benannt, sondern nachträglich in „heftige ÖFFENTLICHE Proteste“ der Eimsbütteler Bevölkerung umgelogen. Mit dem Verschweigen der Quellen, aus denen man schöpft, verfolgt das Anzeigenblatt also mehrere Ziele gleichzeitig: Erstens die Aneignung der Arbeitskraft anderer zwecks Senkung der eigenen Kosten bei der Herstellung eines Werbeblattes. Zweitens die irreführende Darstellung des eigenen Copy & Paste-PR-“Journalismus“ als Recherche-Journalismus, der „Enthüllungen“ und „sensationelle Entdeckungen“ bietet. Drittens ist das Verschweigen der tatsächlichen Akteure Voraussetzung für die politische Lüge, es habe seinerzeit in Eimsbüttel „heftige ÖFFENTLICHE Proteste“gegeben. Die gab es nicht. Es gab nur unsere Flugblattverteiler/innen vor dem ETV. Der Rest war Schweigen. Gerade deshalb konnte der ETV nach der Umbenennnung der Robert-Finn-Halle zur Tagesordnung übergehen.
Der Versuch, UNSERE Interventionen ausgerechnet jenem indifferenten Eimsbüttler Bürgertum zuzuschreiben, das sich weder an der Finn-Halle noch an dem Hakenkreuz störte und stört, zielt wiederum darauf, „Eimsbüttel“ einmal mehr als „gute Heimat“ darzustellen. Auch das ist vor allem Kundendienst.
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Abschreiben und Entkontextualisierung
Mit unseren Kategorien & Begriffen geht das Anzeigenblatt so um, wie man es vom PR-Journalismus erwarten kann: Man übernimmt Begriffe wie „völkische Turnerbewegung“ (ohne sie zu verstehen) , macht aus einem aufgeschnappten Stichwort wie „Ariertreffpunkt“ die unsinnige Bezeichnung „Ariersportlerkreuze“, verbindet, da man nicht weiß, wofür „völkisch“ inhaltlich steht, diesen Begriff mit „NSDAP“ zu „völkischer NSDAP-Sympathisant“, macht aus der „Arbeitsgemeinschaft für Schmieröl VERTEILUNG“ die „Reichsschmieröl-VERSORGUNG“ (man will ja nur kopieren und sonst über die NS-Kriegswirtschaft nicht wissen), übernimmt – selbstverständlich ohne Zitatangabe – unsere begründete Vermutung, dass Robert Finn vom Einsatz von Zwangsarbeiter gewusst haben muss, macht aus dem „MUSS“ einfach ein „HAT“. Undsoweiter. Was nicht direkt mit der Maus in den eigenen Text gezogen wird, wird frei nacherzählt oder zusammengefasst, etwa zu: „Alles braune Drumherum aber bleibt und wird weiterhin ausgesessen“ oder „Kein Schild weist auf diese Opfer hin“. Alles folgt dem selben Muster: Copy & Paste, Verballhornung der unverstandenen Begriffe und Zusammenhänge nach der PR-Logik, Darstellung dieser widerwärtigen Mixtur als „neue Sensation“, Aufbereitung als Heimatgeschichte, die für das anvisierte Publikum und die Anzeigenkunden genießbar ist.
„Ehrenstein“
Politische Lügen kommen stets wie von selbst hinzu. Beispiel: Nach 1945 hatte der ETV-Chef Robert Finn die Widmung auf dem seit 1918 vor dem ETV-Gebäude stehenden „Ehrenstein“ ändern lassen. Vorher stand dort: „Unseren Toten“; nachher: „Unseren gefallenen Kameraden“. Auf diese Änderung sind wir im Zuge unserer Recherchen 2006 nur gestoßen, weil wir monatelang in vielen Archiven waren, dort große Mengen an Material sichteten und dieses Material dann einordneten und bewerteten. Zu klären waren zum Beispiel Fragen wie: Welche Inschriften waren damals üblich? Wie wurden sie verstanden? Was unterscheidet „Unseren Toten“ von „Unseren gefallenen Kameraden“. Seit wann gelten Soldaten und Offiziere gleichermaßen als „Kameraden“? Welche Truppenteile sind mit „Kameraden“ gemeint?
Über die verschiedenen Inschriften auf dem „Ehrenstein“ des ETV und ihre Veränderung nach 1945 gibt es außer auf unserem weblog NIRGENDS eine andere öffentlich zugängliche Information. Von uns ist auch die Bewertung, dass dieser „Ehrenstein“ gleichzeitig der Wehrmacht und der Waffen-SS gewidmet ist.
In dem PDF-Anzeigenblatt heißt es nun:
„… ein Täter wie z. B. Robert Finn, der als Direktor der `Reichsschmierölversorgung´für den `Endsieg“´zuständig war und vom Masseneinsatz der Zwangsarbeiter gewusst hat, konnte ganz frech nach Kriegsende als 1. ETV-Vorsitzender das bis heute vor dem Eingangsbereich stehende 1.Weltkriegsdenkmal, dem „Ehrenstein,“ erneuern. So werden seitdem auch seine aus dem 2. Weltkrieg „gefallenen Kameraden“, inklusive Waffen-SS und Wehrmachtskriegsverbrecher „geehrt“.
Abgesehen von zwei sachlichen Fehlern (s. unten) ist hier jedes Wort direkt bei uns geklaut. Der Mann an der Eim-Net-Kopiertaste hat über diesen Gegenstand nie etwas anderes gelesen als unser weblog. Er schreibt es wortwörtlich ab, „vergisst“ die Quellenangabe und verfolgt damit bewusst auch ein inhaltliches Ziel: Indem so getan wird, als würden hier Tatsachen kolportiert werden, die man auch jeden Tag im „Hamburger Abendblatt“ oder in Rundschreiben der SPD-Eimsbüttel nachlesen kann, werden diese Tatsachen wahrheitswidrig als allgemein akzeptierte Tatsachen dargestellt. Tatsächlich handelt es sich aber um Sachverhalte, an denen trotz unseren Enthüllungen in Eimsbüttel bisher niemand ein Interesse hatte. Und der ETV , vor dessen Tür dieser „Ehrenstein“ steht, hat sich ebenfalls seit 2006 nicht zu dem Thema geäußert. Das Vereinspublikum, zu dem auch etliche Anhänger der Linkspartei gehören, stört sich auch nicht daran. Als empörte junge Antifas den Stein mal mit Farbe übergossen, hat der ETV ihn mit moderner Technik wieder auf Hochglanz gebracht. Und in dem Vereinslokal, das 2006 nach dem Stein benannt wurde, tagten am 1.4.2007 die Leute, die heute Eims-Net machen.
Das PDF-Heimatblatt klaut also nicht einfach nur Texte: Indem es sie kopiert, entkontextualisiert es sie zugleich. Auf diese Weise werden die politischen und gesellschaftlichen (Macht-) Verhältnisse absichtlich anders dargestellt als sie in Wirklichkeit sind und zwar so, dass „unser Eimsbüttel“ dabei als „gute Dorfgemeinschaft“ erscheint. Es geht hier also um mehr als um das Verschweigen der Quellen.
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Falsch abgeschrieben
Da es beim Copy & Paste-PR-Journalismus schnell gehen muss, kommt es bei der „Übertragung“ auch zu „handwerklichen Fehlern“ , die das Verfahren besonders gut kenntlich machen:
■ Beispiel: Verwechselung von Bosse mit Brose.
August Bosse wird von dem Anzeigenblatt zum „Führer und 1. Vorsitzenden des ETVs“ erklärt. Diese falsche Angabe entstand, weil man in der Eile eine andere Seite unseres weblogs aufgerufen und dann nicht genau hingeschaut hatte.
„Führer und 1. Vorsitzender des ETV“ war nicht BOSSE, sondern Eduard BROSE. Und DER war tatsächlich ein NSDAP-Mann. Über „Eduard Brose“ ist im Internet nur bei uns etwas nachzulesen. Die Macher von Eims-Net haben diesen Namen vorher nie gehört. Über Bosse wussten sie auch nicht viel. So kam es dazu, dass sie den Namen BROSE mit der Maus in die Datei mit dem BOSSE-Text gezogen haben. Und dann haben sie darunter geschrieben: „ … wie EIMS-NET jetzt belegt.“
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■ Beispiel: Eine Zeitung als Quellenangabe, die es 1933 nicht gab.
Es fällt auch auf, dass das Anzeigenblatt seinen Aufmacher mit dem Faksimile des oben erwähnten Bosse-Artikel aus dem „Hamburger Anzeiger“ vom 4. Mai 1933 bebildert, den wir unter „Presse 1998“ dokumentiert haben. Als Quellenangabe steht unter dem Faksimile jedoch statt „Hamburger Anzeiger“: „Ausschnitt aus Hamb.-Zeitung“. Wer sich nur halbwegs mit der Hamburger NS-Geschichte auskennt, weiß jedoch, dass es die „Hamburger Zeitung“ nur von 1943 bis 1945 gab.
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Banalisierung und politische Lüge
Doch das sind nur die formalen Fauxpas, die zum Alltag des Copy & Paste-Journalismus gehören.
Entscheidender sind die inhaltlichen Folgen dieser Art von Klickraten-Journalismus, der einfach mal auf die Idee kam, mit einem Hakenkreuz-Thema Aufmerksamkeit zu erzielen
PR-Journalisten wissen, dass sich „Spiegel“-Titel mit Hitler & Hakenkreuzen besonders gut verkaufen, weil sie das heute durchgesetzte Bild vom NS bedienen: Hier die Monster im Führerhauptquartier und dort die verführten Deutschen, die nichts wussten.
Damit diese geschichtsrevisionistische Figur auch für das anvisierte Publikum des Anzeigen- und Heimatblattes aufbereitet werden kann, muss Eims-Net aus Bosse einen Nazi machen, ohne (!) genau zu wissen oder gar nachweisen zu können, dass er auch definitiv einer war.
Dass der deutschvölkische Bosse am Ende auch ein Nazi wurde, halten wir durchaus für möglich. Wir trauen ihm das zu, weil wir die biographischen Eckdaten kennen. Von Bosse ist schriftlich allerdings kaum etwas überliefert, auch nicht im ETV-Magazin. Alle anderen ETV-Funktionäre haben ständig Texte veröffentlicht. Bosse galt als guter Redner, nicht als Schreiber. Deshalb gibt es nicht viel, was man von ihm zitieren kann.
Doch mit solchen Kleinigkeiten halten sich PR-Journalisten (Peter Gutzeit, Peter Offenborn) nicht auf. Ihnen ist es völlig egal, was Bosse konkret tat und ob er wirklich ein Nazi wurde oder ein Völkischer blieb oder als Völkischer zu den Nazis ging. Da ihnen der Unterschied zwischen Völkischen und Nazis ohnehin nichts sagt, erklären sie Bosse zum „völkischen NSDAP-Sympathisanten“! Es ist reiner Zufall, dass daraus nicht „völkischen Arier-Sympathisant“ oder „strammer Ariersportler“ wurde.
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• Bosse wird in den kurzen Texten in jeder Zeile anders genannt:
1. → als „glühenden Mitläufer“ der „von den Nazis in führende Funktionen des ETVs eingesetzt wurde“
2. → als „völkischer NSDAP-Sympathisant“,
3. → als “Nazi-Aktiver“
4. → als „strammer Gefolgsmann der Nazis“
5. → als einer der Namensgeber von Hallen & Plätzen, die nach „Kriegsverbrechern aus der höchsten Nazi-Hierachie benannt“ sind,
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Dass fast jede Kategorie die andere ausschließt, stört nicht weiter. „Nazi Schmazi“ möchte man mit Tom Lehrer sagen: Alles ist egal. Nazi ist hier nur ein anderes Wort für „irgendwie unsymphatisch “, also keine politische und historische Beschreibung.
Für Leute, denen es vor allem darum geht, durch Erzeugung von Aufmerksamkeit in den auflagenstarken Lokalzeitungen kurz erwähnt zu werden, ist der Unterscheid zwischen einem Sympathisanten und einem Kriegsverbrecher völlig belanglos.
Da sie nicht beabsichtigen, Verantwortung für ihr falsch abgeschriebenes Geschreibsel zu übernehmen, haben sie ihr Hauptziel schon erreicht, wenn der ETV im Abendblatt ein Dementi verkündet.
Die Unterscheidung zwischen Völkischen und Nazis, zwischen „NSDAP-Sympathisanten“ und “Nazi-Aktiven“, zwischen „glühenden Mitläufern“ und überführten Kriegsverbrechern ist ja in erster Linie deshalb wichtig, weil nur auf diesem Weg beschrieben werden kann, wie Vernichtungskrieg und Holocaust möglich waren, obwohl die Zahl der ausführenden Täter auf einige Hunderttausend begrenzt war. Wie der „mitlaufende“ und „bloß sympathisierende Volksgenosse“ zunächst wegsah oder einen Tip gab, als der „stramme Gefolgsmann“ zuschlug und der Kriegsverbrecher Gefangene verhungern oder erschießen lies und wie am Ende dann doch aus „ganz normalen Männern“ sogar Kriegsverbrecher wurden – das ist ja das volksgemeinschaftliche „Geheimnis“ des Nationalsozialismus. Diese Unterscheidungen sind gerade wichtig, damit ihr Zusammenhang deutlich wird und weil alles andere auf die alte Ausrede vom Nationalsozialismus als „Verbrechen im deutschen Namen“ hinausläuft.
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„Offensichtlich wussten Sie nichts“
Ein Heimatblatt kann einen Bosse-Platz und ein Turnerhakenkreuz nur zum Spektakel machen, wenn es seinem Publikum bescheinigt, damit selbst nichts zu tun zu haben. Die Unterscheidung zwischen Wegschauen und Tun muss schon in den Texten unter den Tisch fallen, damit niemand auf auffällige strukturelle Ähnlichkeiten zur Gegenwart gestoßen wird:
Denn das schwartzrotgrüne Eimsbütteler Bürgertum (einschließlich seiner linkspopulistischen Milieus), KENNT den Bosse-Platz und das Turnerhakenkreuz am ETV-Gebäude sehr gut!
Dieses Bürgertum trainiert dort, es parkt seine schwarzen SUV-Wannen direkt vor dem Hakenkreuz, es schickt seine Kinder auf den privatisierten Sparbierplatz und den privatisierten Bosseplatz. Im ETV treiben viele Familien bereits in der dritten oder gar vierten Generation Sport. Was ihre Großeltern oder Eltern damals im ETV machten, wollen die Jungen so genau nicht wissen, denn sie wissen genug, um nicht noch mehr wissen zu wollen.
All das, was wir seit 2006 mit viel Aufwand dokumentiert haben, hat deshalb in Eimsbüttel keinerlei Entsetzen hervorgerufen. Wie auch? Wenn etwas „öffentlich bekannt wird“, was ohnehin alle wissen oder ahnen, ändert sich ja nichts an dieser bewussten Indifferenz. Zu einer Umbenennung und dergleichen kommt es nur, wenn ein „Fall“ allzu offensichtlich mit dem Selbstbild all der unverkrampften Patrioten kollidiert, die den NS heute zeitgemäß als eine Variante von Menschenrechtsverletzungen „verurteilen“, die bekanntlich auch sonst überall vorkamen und vorkommen (vom Bombenterror der Alliierten über Kosovo bis Israel).
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■ Dieser Eimsbüttler Zivilgesellschaft macht das PDF-Blatt, das sich dort als zweites Heimatblatt empfehlen will, gleich eine ganze Reihe von Entlastungsangeboten:
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1. Wir bestätigen Euch, dass ihr von allem nichts gewusst habt:
• “Offensichtlich wussten Sie nicht, dass Sie in Hallen und auf Sportplätzen trainier(t)en, deren Namensgeber hochrangige Nazis waren oder als glühende Mitläufer von den Nazis in führende Funktionen des ETVs eingesetzt wurden.“
• „Und sicher wussten Sie wohl auch nicht, dass die hier im Krieg arbeitenden Zwangsarbeiter nicht aus sportlichen Gründen in diesen Hallen weilten. Woher sollten Sie das auch wissen?“
• „Ihnen sind noch nicht die Haken- und Eisernen Kreuze an der Außenmauer der ehemaligen „Robert Finn-Halle“, jetzt „Große Halle“, aufgefallen?“
Üble politische Lügen verbinden sich hier mit üblen „journalistischen“ Praktiken.
→ Erstens sehen, wie erwähnt, alle täglich das Hakenkreuz und den „Ehrenstein“ für die bewaffneten Formationen des NS-Regimes, wenn sie mit der Iso-Matte unterm Arm zum Bauch-Beine-Po-Training eilen. Es stört sie aber nicht.
→ Zweitens wissen es viele aus den Familienerzählungen.
→ Drittens wissen es alle ganz offiziell seit 2006, weil wir wochenlang Flugblätter verteilt haben, unsere Recherchen allgemein bekannt sind (selbst im Rahmen einer Vorstellung des ETV bei Karstadt musste 2007 eine Tafel auf die Hintergründe der Umbenennung der Robert-Finn-Halle hinweisen) und es dann in der Lokalpresse stand.
→ Viertens sind die Macher von Eims-Net Teil des Problems: Auch sie wussten es und wollten es doch nicht wissen, als wir es auf unsere Weise – also ohne Anbiederung bei den „Eimsbüttlern“ – zum Thema machten. Als das Milieu, zu dem auch der Geschäftsführer des Anzeigenblattes gehört, 2007 im ETV-Lokal „Ehrenstein“ eine Veranstaltung durchführte, bestritt man, dass der Name des Vereinslokals etwas mit dem echten Ehrenstein im Eingangsbereich zu tun hat.
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„hochrangige Nazis“
Diese falsche Darstellung des Verlaufs der Auseinandersetzung wird nicht einfach nur mit Stichwörtern bestritten, die man bei uns gefunden hat. Damit unsere Untersuchungen in die Heimaterzählung des Anzeigenblattes passen, müssen sie vulgarisiert und mit puren Erfindungen vermischt werden.
Zwecks Spektakel erfindet man zum Beispiel „hochrangige Nazis“. Tatsächlich war nicht einmal Robert Finn ein hochrangiger Nazi. Er hatte nie eine bedeutende Parteifunktion ausgeübt. Mit der willkürlichen Erfindung von „hochrangigen Nazis“ greift das Werbeblatt die oben erwähnte, heute übliche Unterscheidung zwischen den „Monstern im Führerhauptquartier“ und der „verführten“ und „betrogenen“ Mehrheit auf. Die Inszenierung eines „Hakenkreuz-Skandals“ macht für ein Anzeigenblatt, das seine Klickrate erhöhen will, ja nur Sinn, wenn die Sache so dargestellt wird, dass dabei für die Konsumenten dieses PDF-Blattes ein Wohlfühleffekt herausspringt, zum Beispiel weil sie sich nun sagen können: „Mein Opa war jedenfalls kein führender Nazi“.
Zwangsarbeiter
Zwecks Spektakel erwähnt man die 400 Zwangsarbeiter, die damals in den ETV-Hallen untergebracht waren. Die Recherchergebnisse dazu sind nur bei uns nachzulesen. Eim-Net schreibt das einfach ab. Aber wozu?
Die Antwort ergibt sich aus der oben schon zitierten Eindordnung: „Und sicher wussten Sie wohl auch nicht, dass die hier im Krieg arbeitenden Zwangsarbeiter nicht aus sportlichen Gründen in diesen Hallen weilten. Woher sollten Sie das auch wissen?“.
Auch hier geht es um Entkontextualisierung, um die Abtrennung des Themas von der von uns intendierten Kritik der „neuen deutschen Erinnerungskultur“. Unter der Überschrift „Niemand wußte etwas!“ schrieben wir bereits 2007:
“ Wie konnten hunderte Zwangsarbeiter einfach verschwinden? Warum mussten WIR Archive durchforsten, um etwas darüber zu erfahren? Wie war es möglich, dass angeblich „niemand davon wußte“, obwohl die ETV-ler in der kleinen Halle weiterturnten, während in der großen Halle Zwangsarbeiter eingesperrt waren? Hatten die Alten es vergessen? Hatten die Jungen danach gefragt? Die deutsche „Erinnerungskultur“ ist ein großes kollektives Rollenspiel zur Irreführung der Weltöffentlichkeit und zur Selbstirreführung. Sie funktioniert nur, wenn alle mitspielen und sich absichtlich dumm stellen. Zum Beispiel bei dem Spiel: `Wußten die ETV-Mitglieder von den Zwangsarbeitern in ihren Hallen?` Es gab (und gibt es immer noch) genügend ETV-Mitglieder, die damals auf die eine oder andere Weise „dabei“ waren. Tausende ETV-Mitglieder haben diese Zwangsarbeiter gesehen – und sie – als „Herrenmenschen“ – ÜBERSEHEN. Es hat sie nicht gestört. Sie haben nebenan weiter geturnt. Und „nach dem Krieg“, als man irgendwann aufgefordert war, sich (mit Blick auf die ausländischen Resozialisierungshelfer) mit den Nazisprüchen etwas zurückzuhalten, wurde einfach nicht mehr darüber gesprochen (es sei denn, man war unter sich). Die Jungen aber, die mit dem Geheimcode der Alten – diese ganze System von versteckten Andeutungen – aufgewachsen waren und zugleich durch die Reeducation-Informationen der Siegermächte immerhin ganz grob wussten, dass damals Ungeheuerliches von Deutschen getan wurde, wagten sich nicht das Thema anzusprechen (von den „Neonazis“ und anderen Rechten natürlich abgesehen). So war es möglich, das in den letzten Jahrzehnten scheinbar kein Mensch mehr wußte, dass die ETV-Hallen einst Zwangsarbeiterlager waren. Die Aufdeckung dieser Tatsache durch uns (auch noch ausgerechnet durch uns!) nimmt man daher zur Kenntnis, als hätte man bei Ausgrabungen ein altes römisches Mosaik unter den Hallen gefunden.“
Dass es die Zwangsarbeiter gab, war im ETV immer bekannt. Wir haben lediglich die Belege gesucht und gefunden. Für das Anzeigenblatt ist „Zwangsarbeiter“ nur ein Schlagwort wie „Hakenkreuz“ oder „Nazi“. Das Schlagwort wird nur erwähnt, um „den Eimsbüttlern“ zu schmeicheln: „Wenn sie es gewusst hätten, wären sie entsetzt gewesen“.
Unser Problem ist hingegen, dass wir bis heute ihre Namen nicht wissen und auch keine genaue Beschreibung darüber publizieren können, wie die ETVler es fertig brachten, in der einen Halle zu turnen, während in der anderen die „Fremdarbeiter“ lebten. Das hängt mit dem fortgesetzten Schweigen der Alten im ETV und in der Nachbarschaft zusammen. Und natürlich von der deutschen Entschädigungspraxis, die darauf achtete, dass da kein Betrieb und Verein hineingezogen wurde bzw. haftbar gemacht wurde.
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2. Wir bestätigen hiermit, dass unsere guten Politiker auch von nichts wussten und heftig protestierten, als sie davon Wind bekamen:
“Auch die Proteste von Eimsbüttler Bezirksabgeordneten konnten der ETV-Führung nichts anhaben.“
Auch das ist Kundendienst eines Anzeigenblattes. Es gab NIEMALS Proteste von Eimsbüttler Bezirksabgeordneten in dieser Sache. Im Gegenteil: Die Eimsbüttler Politik, die dem ETV auf dem Schoß sitzt und ständig Millionenwerte rüberschiebt, traf sich dort zum Schnittchenessen und schwieg öffentlich. Im Hintergrund beriet man, weil es um das Gelingen eines 100-Millionen-Projektes ging (Privatisierung und Bebauung des Sparbierplatzes), wie man die Sache mit dem Nazi Robert Finn am besten aus der Welt schaffen kann. MdB Niels Annen riet zur Einstellung eines Haushistorikers, damit der ETV Zeit gewinnt und unsere Enthüllungen als Laienpolemik abqualifiziert werden können. KEIN Bezirksabgeordneter hat in Eimsbüttels in den letzten 100 Jahren jemals seine Stimme gegen den ETV erhoben. Nachdem Anfang 2007 die Finn-Halle umbenannt werden musste, hat irgendeine SPD-Frau einen Leserbrief an die Hamburger Morgenpost geschrieben. Wir haben ihn nicht mal aufgehoben.
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3. Wir wollen diese Geschichte im Gegensatz zu der rabiaten Initiative gegen die Bebauung des Sparbierplatzes so erzählen, dass Bosse-Platz und Hakenkreuz als uneimsbüttlerisch (eine Unterkategorie von un- und antideutsch) dastehen und wir wollen daraus eine schöne Heimatklamotte machen, die Lesern und Anzeigenkunden gleichermaßen gefällt:
“Zwei Hakenkreuze auf dem Gebäude des Eimsbütteler Sportverbandes ETV [Turnverbandes], verunstalten 65 Jahre nach Kriegsende immer noch das Gesicht Eimsbüttels. Das muss nicht sein.“
Die Fortexistenz des Turnerhakenkreuzes, des „Ehrensteins“ und der nach Deutschvölkischen benannten Plätze in Eimsbüttel (es gibt noch mehr davon) „verunstalten“ NICHT einen ansonsten „liebenswürdigen Stadtteil“, sie sind ihm NICHT äußerlich und wesensfremd, sondern zeigen nur das Fehlen einer antifaschistischen Tradition. Eimsbüttel war einst ein Zentrum des Antisemitismus in Hamburg. Eimsbüttel war eine Hochburg der völkischen Turner. In Eimsbüttel wurden zuerst Bücher verbrannt (50 Meter neben der ETV-Zentrale). In Eimsbüttel war die evangelikale Sekte von Friedrich Heitmüller aktiv. Die Fortexistenz des Turnerhakenkreuzes sagt nur etwas über die Tradierung dieser politischen Verhältnisse in der Gegenwart. Das „Gesicht Eimsbüttels“ ist so wie es ist.
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→ Siehe hierzu auch Seite 3 dieses Blogs:
Zur volksgemeinschaftlichen Rhetorik des kommerziellen Heimat-Antifaschismus.
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(Teil 2)
Wie Geschichte fürs Spektakel aufbereitet wird
„Nazitradition beim ETV: August Bosse-Platz“
heißt eine Überschrift des PDF-Anzeigenblattes.
Während man sich im oben zitierten Text nicht entscheiden kann, ob Bosse ein „glühender Mitläufer“ ODER ein NSDAP-Mitglied war, gibt diese Schlagzeile vor, es genau zu wissen. Diese angeblich sichere Erkenntnis wird dann entsprechend Spektakel-journalistisch aufbereitet und vermarktet:
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„Januar 1935: August Bosse ist gestorben; jetzt wird er zu Grabe getragen. Die NSDAP-Abordnung der Ortsgruppe Hoheluft beendet ihre Totenwacht an dem Sarg. Die Fahne mit dem Hakenkreuz neigt sich. Das war vor über 70 Jahren. Doch noch heute wird des Nazi-Aktiven als Sportführer gedacht, indem ein Sportplatz des ETV seinen Namen trägt, der August-Bosse-Platz. Bosse war 68 Jahre alt geworden. Er hatte sich über Jahrzehnte für den ETV und in überregionalen Sportverbänden engagiert. Bereits 1913 war er zum Vorsitzenden des Norddeutschen Fußballverbandes gewählt worden (1925 wurde er dessen Ehrenmitglied), jahrelang hatte er auch den Norddeutschen Sportverband ( NSV) geleitet. (…) Dem beruflich als Inspektor im Jugendamt tätigen Bosse waren nur knapp zwei Jahre gegönnt, diese Ämter auszuüben.“
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Wo ist das her? Alle Informationen stammen aus einem Nachruf vom 25. Januar 1935, dessen Eckdaten seither in allen Dokumenten des Norddeutschen Fußball-Verbandes immer wieder zitiert werden. Dieser Nachruf erschien im „Hamburger Fremdenblatt“. Wir zitieren ihn vollständig, damit deutlich wird, wie der Wille zum Spektakel den Inhalt diktiert:
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Hamburger Fremdenblatt, 25. Januar 1935
August Bosses letzter Weg
Auf dem Ohlsdorfer Friedhof fand gestern von Kapelle 6 aus die Beisetzungsfeier für den im 68. Lebensjahr gestorbenen Oberinspektor des Jugendamtes und erfolgreichen Hamburger Sportführer August Bosse statt.
40 Jahre uneigennütziger Arbeit an der Jugend umfasst dieses Menschenleben und damit 40 Jahre wertvollen Dienstes am Volke. Daß diese Arbeit Dank und Anerkennung gefunden hat, bewies die außerordentlich starke Teilnahme an der Beisetzung. August Bosse war einer der Großen unter den deutschen Sportführern, und so waren aus allen Teilen Norddeutschlands die Vertreter der Sportvereine und Verbände herbeigeeilt. Der Bund hatte Dr. Handry entsandt. In großer Zahl waren auch die aktiven Hamburger Sportleute erschienen, unter ihnen fast alle alten Internationalen.
In der Kapelle hielt die Ligamannschaft des Eimsbütteler Turnverbandes die Ehrenwache am Sarge. Nach einem Gesang des Opernsängers Willy Kasper vom Staatstheater Bremen, der dem Allgemeinen Bremer Turn- und Sportverein angehört, würdigte Pastor Voß die Lebensarbeit des Verstorbenen. Für die Partei, Kreis Hoheluft, nahm Pg. Valette Abschied von dem alten Kämpfer. Dr. Riebow sprach für den Deutschen Fußball Bund, dem der Verschiedene als einer der ältesten Pioniere angehörte und für den er ein großes Maß von ehrenamtlicher Arbeit in vier Jahrzehnten geleistet hat. Für den Eimsbüttler Turnverband, dem August Bosse seit Vorkriegszeiten seine Führereigenschaften zur Verfügung gestellt hatte, sprach Sparbier, ebenfalls einer der wegweisenden Hamburger Turn- und Sportführer. 40 Jahre hat Sparbier zusammen mit Bosse für die Jugend im Eimsbüttler Turnverband gearbeitet, in dieser Zeit ist der Verein zu einem der führenden deutschen Turn- und Sportvereine aufgestiegen. Für das Jugendamt sprach ein Berufskollege zu Herzen gehende Abschiedsworte.
(siehe weblog der Initiative)
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Geschildert wird in dem von den Nazis kontrollierten „Hamburger Fremdenblatt“ eine Trauerfeier, die von den Sportverbänden organisiert und geprägt wird. Hunderte Sportler und Sportfunktionäre sind zugegen. Die „Ehrenwache“ hält laut diesem Bericht eines Naziblattes nicht die NDSAP, sondern der Eimsbüttler Turnverband, der Sänger ist offenbar nicht von der NDSAP, sondern von einem Bremer Turnverein, der Hauptredner ist offensichtlich nicht von der NDSAP, sondern es ist Julius Sparbier, Vorsitzender des Eimsbüttler Turnverbandes. Dazwischen steht der Pg. von der NSDAP-Kreisgruppe Hohe Luft.
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In der Anzeigenblatt-Fassung, die keine Quelle nennt, wird mit drei Sätzen ein ganz anderes Bild gemalt wird:
„Januar 1935: August Bosse ist gestorben; jetzt wird er zu Grabe getragen. Die NSDAP-Abordnung der Ortsgruppe Hoheluft beendet ihre Totenwacht an dem Sarg. Die Fahne mit dem Hakenkreuz neigt sich“.
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Die große Mehrheit der Anwesenden kommt hier überhaupt nicht mehr vor. Warum wird nur die NSDAP erwähnt? Warum wird der Eindruck geweckt, es habe sich um eine exklusive Parteiveranstaltung gehalten? Tatsächlich prägten laut dem Bericht dieser Nazi-Zeitung die Sportverbände und der ETV die Szenerie. Bosse wird hier vor allem als verdienstvoller „vaterländischer“ Sportfunktionär geschildert und nicht als umtriebiger Parteiaktivist.
Wer solche Schilderungen kennt – die Beerdigung von Sparbier lief zwei Jahre später ähnlich ab – weiß auch, welcher Code in dem Artikel steckt und wie er damals (zwischen den Zeilen) gelesen und verstanden wurde: Der Pg. bezeichnet Bosse zwar als „alten Kämpfer“, aber es fällt auf, dass er keine einzige „Heldentat“ aufzählt, die Bosse für die Partei begangen hat. Wenn „Alte Kämpfer“ beerdigt wurden, also Nazis, die schon vor 1933 aktive (und daher bekannte) Parteimitglieder waren, wurde der Sarg mit einer Hakenkreuzfahne und dem „Goldenen Parteiabzeichen“ der NSDAP bedeckt und von SA- und SS-Männern getragen. Das war bei Bosse offenbar nicht der Fall. Wäre es so gewesen, würde es in dem Artikel einer von der Partei kontrollierten Zeitung mit Sicherheit auch so stehen.
Die ganze Darstellung des „Hamburger Fremdenblattes“ sieht so aus, als wolle man Bosse, der immerhin ein bedeutender und bekannter Sportfunktionär in Norddeutschland war und den man noch als Rentner (zwei Jahre vor seinem Tod) zum Vorsitzenden des NFV machte, einerseits der Partei zuordnen (als „alten Kämpfer“), andererseits aber nicht über das stellen, was er für die anderen Anwesenden vor allem war – eben der Mann, der sein ganzes Leben dem (von Sparbier abgelehnten) Fußballsport in Norddeutschland gewidmet hatte.
Es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass beide noch der NSDAP beitraten, weil sie in den Nazis diejenigen sahen, die die Ziele der deutschvölkischen Sportler endlich verwirklichten. Aber das Urteil über die beiden ETV-Funktionäre würde sich auch in diesem Fall vor allem auf die 50 Jahren davor beziehen müssen, in denen sie aus dem ETV einen Verein machten, in dem vaterländische Orientierung, völkisches Bewusstsein, Mannhaftigkeit, das Sich-Einfügen in das große Ganze, das Gehorchenlernen („um das Befehlen zu lernen“), die Entwicklung des Mannschaftsgeistes zum „Volksgeist“ und die Förderung des „Bewusstseins der Blutsverbundenheit“ im Mittelpunkt standen. Das ganze völkische Programm eben, das den Nazis aber lange nicht weit genug ging: Hitler hielt die „völkischen Theoretiker“ für wirklichkeitsferne Phantasten und polemisierte gegen „deutschvölkische Wanderscholaren“, „Komödianten“ und „Sprücheklopfer“, obwohl er dieselben geistigen Ahnherren hatte.
Wir haben die Möglichkeit, dass Bosse und auch Sparbier noch in die NSDAP eingetreten sind, also nie ausgeschlossen (siehe oben). Derart engagierte Deutschvölkische waren den Nazis mehr als dankbar dafür, dass sie plötzlich all das möglich machten, was Deutschvölkische immer schon wollten.
Aber bewiesen ist es eben erst, wenn man es beweisen kann. Wer aber, um ein PR-Spektakel zu entfachen und die Klickrate zu erhöhen, die Schilderung einer Beerdigungsszene in einem NS-Blatt so umformuliert, dass Leser denken müssen, allein die NSDAP-Hoheluft habe daran teilgenommen, spielt am Ende nur dem ETV in die Hände.
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■ ■ Nachtrag am 06.11.2009: Wir haben es im Bundesarchiv überprüft:
Von August Bosse, geb. 23.11.1866 in Hannover,
gestorben am 21.1.1935 in Hamburg,
gibt es keinen Eintrag in der NSDAP-Mitgliederkartei.
Das gilt auch für Julius Sparbier. Zwei jüngere Verwandte, wahrscheinlich Neffen, waren hingegen in der NSDAP und SA. Recherchiert haben wir in allen Beständen und Sammlungen des ehemaligen Berlin Document Center (BDC), einschließlich NSDAP-Mitgliederkartei, in der Sammlung „NS-Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR“ sowie in Beständen zum Sport während des Nationalsozialismus. Weil Bosse schon 1935 verstarb und Sparbier 1937, gibt es von beiden im Hamburger Staatsarchiv auch keine Entnazifizierungsakten, in denen noch das eine oder andere Detail vermerkt sein könnte. (In Hamburg sind sämtliche NSDAP-und Gestapo-Akten von den Nazis beseitigt worden. Erhalten sind nur wenige NSDAP- und SA-Akten sowie die regionale NSDAP-Presse). Nach diesem Rechercheergebnis kann man eine NSDAP-Mitgliedschaft von Bosse zwar nicht vollständig ausschließen (die Unterlagen im Bundesarchiv sind unvollständig und auch die NSDAP-Mitgliedskartei erfasst nur etwa 80 Prozent der tatsächlichen Mitglieder), aber man kann sagen, dass eine solche Mitgliedschaft, wenn man sie auf diesem Weg nicht belegen kann, wohl kaum noch mit beweiskräftigen Dokumenten belegt werden kann. Obwohl also in den damaligen Nachrufen auf Bosse dieser von den Nazis als einer der ihren bezeichnet wird (als „alter Kämpfer“), ist es uns auch nach einer umfangreichen Recherche nicht gelungen, eine NSDAP-Mitgliedschaft Bosses konkret zu belegen (ein Aufwand, den man übrigens nur betreiben muss, weil die Alten im ETV und außerhalb des ETVs eisern schweigen). Bosse und Sparbier gehen daher als deutschvölkische ETV-Funktionäre in die Geschichte ein. Dass jedoch keine Bewertung abschließend ist, zeigt zum Beispiel unsere Entdeckung dieses Sparbier-Textes.
Das Heimat- und Anzeigenblatt Eims-Net hingegen, wird, soweit sein Schwindel Spuren in der Lokalpresse hinterlassen hat, in dieser Geschichte als Fußnote vorkommen – als Beispiel für einen skrupellosen PR-„Journalismus“, der nicht einmal davor zurückschreckte, den Antifaschismus zu vermarkten, zu diesem Zweck Antifaschisten zu täuschen, sich die Recherchearbeit anderer Leute mittels Copy & Paste kostenlos anzueignen und diese Forschungsergebnisse dann auch noch durch frei erfundene Behauptungen zu verfälschen. Wohlgemerkt: Es geht um diese Spektakel-Masche. Selbst wenn WIR Beweise für eine Parteimitgliedschaft Bosses gefunden hätten – damit hatten wir durchaus gerechnet – so wären es dann eben wirkliche Beweise gewesen. Die Macher des Anzeigenblattes haben hingegen, ohne Beweise und Quellen zu nennen, bloß vorgegeben, etwas zu wissen. Aus den erwähnten Gründen.
(Kommentar: siehe Teil 4)
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(Teil 3)
Zusammenhänge
Wir werden auf diesen Seiten noch einige Kommentare nachtragen, aber wir haben nicht vor, das allzu lange zu machen. Es geht uns um den exemplarischen Nachweis, mit welchen Methoden der Copy & Paste-PR-“Journalismus“ arbeitet und um den Nachweis der „inneren Logik“, die in diesem Falll sogar dazu führt, dass ein unappetitliches Anzeigenblatt, das sonst CDU-Sommerfeste bewirbt, Schleichwerbung für die Hamburger Sparkasse macht und aus einer demagogischen Kampagne zur Rettung einer Springer-Zeitung hevorgegangen ist, sich am Antifaschismus vergreift. Da sind Leute dabei, die uns schon erklärt haben, dass nicht jeder in der NPD an ein Nazi ist. Und Leute, die nichts dabei finden, eine Werbegazette zu „verteidigen“, die jahrelang der Schill-Partei viel Platz eingeräumt hat. Es liegt dort immer ein Crossover zwischen Links- und Rechtspopulismus in der Luft. Selbst wenn sie sich zu einem Hakenkreuz äußern, fällt ihnen gleich das antisemitische Wort „Schandkreuz“ dazu ein. Und wenn sie sich über den Sparbierplatz äußern, fällt ihnen wie automatisch ein, dass die Privatisierung öffentlicher Plätze die Jugendkriminalität fördern wird.
Die Nähe, in die Kritiker unvermeidlich zu dem Gegenstand ihrer Kritik geraten, ist uns ausgesprochen unangenehm. Wir machen das nicht aus freien Stücken, sondern um Zudringlichkeiten abzuwehren. Wir wissen natürlich, dass Eims-Net ein unwichtiges Käseblättchen mit geringem Verbreitungsgrad ist. Es wurde uns schon geraten, nicht durch unsere Kritik zu seiner Aufwertung (bzw. zu einer bessseren Klickrate) beizutragen. Wir haben aber gute Erfahrungen damit gemacht, die Dinge gleich beim Namen zu nennen. Als die Eimsbüttler GAL uns vor Jahren ein wenig unterstützte, haben wir ihre Law & Order-Kampagne zum Thema „Jugendkriminaliät“ trotzdem kritisiert. Obwohl das „Wochenblatt“ gelegentlich einen Auszug aus unseren Presseerklärungen brachte, haben wir damals schon gesagt, was wir von einem Anzeigenblatt halten. Eims-Net ist auch nur ein Indiz. Die Zeiten sind heute nicht so, dass viele sofort erkennen, was in den Müll oder den Spam-Ordner gehört. Trotzdem machen wir die Erfahrung, dass Aufklärung nützt. Es gibt auch keine Alternative dazu.
Unsere Interventionen haben zudem immer noch mit unserem Hauptthema zu tun, an dem wir weiter arbeiten. Im Sommer 2008 haben wir nach sechs Jahren die Auseinandersetzung um die Privatisierung, Christianisierung und Bebauung eines öffentlichen Raumes (Sparbierplatz) verloren. Unsere Kritik an der „Tradition“ des ETV stand bis dahin im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung. Durch diesen Aktualitätsbezug hatte zum Beispiel die Auseinandersetzung um die Robert-Finn-Halle eine ganz besondere Dimension. Es wurde ein innerer Zusammenhang deutlich zwischen einem Investitionsprojekt in der Größenordnung von 100-Millionen und einer „politischen Mentalität“, die weit in die Vergangenheit zurück reicht. Nicht jeder Verein hätte so gehandelt wie der ETV. Nicht jeder Verein hat derart autoritäre Strukturen, die es möglich machten, ein solches Projekt mit aller Machttricks intern durchzusetzen. Und nicht jeder Verein hat in einem Stadtteil eine derartige Macht. Die Vereinszeitung des ETV hieß früher „Der Eimsbütteler“". Dieser lokalpolitische Anspruch existiert bis heute. Es ist eben kein Zufall, dass große Plätze nach seinen Funktionären benannt sind.
Als wir im Sommer 2008 verloren hatten, versuchten unsere Kontrahenten (ETV und Agaplesion AG) in mehreren Offensiven ihren Imageverlust wieder wettzumachen, den ihnen die lange öffentliche Auseinandersetzung eingebracht hatte. Dazu wurde gezielt in einer Kooperationspartnerschaft mit dem Eimsbüttler Wochenblatt eine Kampagne gestartet, deren Höhepunkte die gemeinsame (1. und 2.) „Eimsbüttler Gesundheitsmesse“ von Wochenblatt, Agaplesion und ETV war. Dazu gehörte auch von Seiten des Wochenblattes die Strategie, gleichzeitig die Rodung, Zerstörung und Bebauung des Sparbierplatzes zu feiern UND wochenlang die Holzkreuze der Isebek-Initiative zu featuren. Während hundert Meter weiter im Zeichen des Kreuzes eine 22.000 qm große öffentliche Fläche beseitigt wurde (darunter mehr Bäume als am ganzen unteren Teil des Isebekufers stehen) , mobilisierte man hier das Eimsbüttler Bürgertum im Zeichen des Kreuzes und rechtsökologischer Ideologie für den Erhalt von 12 Bäumen. Die wohl meisten Unterschriften wurden von Leuten gesammelt, die gerade auf dem Weg zum ETV oder zum Diakonieklinikum waren.
Wir waren gerade dabei, diese eigenartige Gleichzeitigkeit zu thematisieren und die Rolle eines Anzeigenblattes für die Durchsetzung von ETV und Agaplesion AG deutlich zu machen, als die heutigen Macher von Eims-Net zuerst in die Isebek-Initiative drängten (wo sie bald wieder rausflogen) und dann ihre Lügenkampagne über den Charakter der Springer-Anzeigengazette „Eimsbüttler Wochenblattes“ starteten. Dagegen mussten wir uns zur Wehr setzen, was wir ungern machten, weil wir viele wichtigere Themen zu bearbeiten hätten. Weil unsere Aufklärung nicht ganz ohne Erfolg blieb, ist die oben geschilderte Copy & Paste- Aktion gegen unser weblog auch ein gezielter Versuch, uns zu schaden. Da es immer Leute gibt, die diesen Hintergrund nicht kennen oder ihn nicht zur Kenntnis nehmen wollen, mussten wir auch in diesem Fall etwas Aufklärung betreiben. Über die Reichweite unserer Aufklärung machen wir uns keine Illussionen. Diese Leute sind Teil eines Milieus, dessen Teil wir nicht sein wollen. Wir richten uns also an Selbstdenker.
Die abzusehende Entwicklung
Der Schein einer heftigen Auseinandersetzung trügt. Mit Anzeigenblättern – inzwischen hat auch das „Eimsbüttler Wochenblatt“, zu dessen Großkunden der ETV gehört, einen Artikel zum Thema gedruckt – hat der ETV die besten Erfahrungen gemacht. Sie brauchen ihre Themen und Schlagzeilen, aber sie sehen die Sache wie er: geschäftlich. Und man hat einen gemeinsamen Bezugspunkt: „unser aller Eimsbüttel“. Um auf sich aufmerksam zu machen, müssen Blätter, die neu auf den Markt drängen, etwas lauter sein als die etablierten Gazetten. Das versteht jeder. Die entsprechenden Signale wurden schon gesendet: Was wir alle zusammen wollen, ist eine hübsche TAFEL. Eine Tafel, auf der einfach mal ALLEN Opfern von Krieg, Vertreibung, Verfolgung, russischer Kriegsgefangenschaft, Feuersturm, Totalitarismus etc. für ihren Einsatz gedankt wird. Auf der werden dann auch die „gefallenen Kameraden“ ihren legitimen Platz finden. Neben den Zwangsarbeitern. Jedem das seine. Die Zeit ist reif für die Historisierung. Eine „Historikerkommission“ mit dem rechten Sinn für Eimsbüttler Heimatgeschichte könnte eine hübsche Trennwand zwischen „damals“ und heute errichten.
Der ETV hat alles erreicht. Nach der Privatisierung des Sparbierplatzes und des Bosse-Platzes ist er einer der wohlhabendsten Hamburger Vereine. Das Bündnis mit dem Rechtssenat und der evangelikalen Klinikkette hat sich gelohnt. Jetzt ist die Zeit günstig für gewisse Image-Korrekturen. Neoliberale BWL-Moderne und deutschvölkische Tradition müssen einen gemeinsamen Nenner finden. Da weiß man „Kritiker“ zu schätzen, die „im Interesse Eimsbüttels“ das fordern, was der Verein ohnehin plant.
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(Teil 4)
■ Ein NACHTRAG anlässlich der Aufdeckung des Bosse-Schwindels

Heilloses Durcheinander in der PR-Branche: Zunächst verwechselte man beim Copy & Paste August BOSSE mit dem ETV-Vorsitzenden und NSDAP-Mitglied Eduard BROSE. Der übrigens nicht „von den Nazis“ zum ETV-Chef „bestimmt“, sondern von den ETV-Mitgliedern gewählt wurde. Dann erklärt man BOSSE, den man für den NSDAP-Mann Brose hält, zum „Sympathisanten“ der Nazis. An einer anderen Stelle wiederum wird der ETV-Vizechef Robert Finn zum „Gefolgsmann der Nazis“ herabgestuft, obwohl er als Mann der Partei nicht „folgt“, sondern führt. Zugleich werden nicht nur Bosse, sondern auch Sparbier zu „Gefolgsleuten“ der NSDAP hoch gestuft werden. Trotz dieser Verwirrung war klar, dass eine „eindeutige“ Headline daraus gemacht werden muss: “NAZI-Tradition beim ETV: August BOSSE-Platz“
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Dem Wochenblatt-Schwindel folgte also, wie unsere Recherche im Bundesarchiv (siehe weiter oben den Nachtrag vom 6.11.09) nun zeigt, der „Bosse-Schwindel“ : Ohne wirklich etwas zu wissen, hatte das An- zeigenblatt den 1935 verstorbenen ETV-Funktionär, den man beim Abschreiben auch noch mit dem „Führer und 1. Vorsitzender des ETV“, Eduard BROSE, verwechselt hatte, abwechselnd als „Mitläufer“, „Sympathisant“, „NSDAP-Mitglied“ und „Kriegsverbrecher“ bezeichnet und diese Mixtur dann aus PR-Gründen in einer Schlagzeile „vereindeutigt“:
“NAZI-Tradition beim ETV: August BOSSE-Platz“.
Das Heimat- und Anzeigenblatt Eims-Net versucht seit Oktober 2009 die Inhalte unseres weblogs zwecks Verbesserung der eigenen Klickrate zu „vermarkten“. Zu diesem Zweck mussten unsere Recherchen entkontextualisiert und „getunt“ werden. Auf unserem weblog haben wir seit 2006 dokumentiert, wie es dazu kam, dass die Nazis zwei öffentliche Plätze in Hamburg-Eimsbüttel nach den ETV-Funktionären Julius Sparbier und August Bosse benannt hatten. Im Fall Bosse hatten wir zudem dokumentiert, dass dieser Fußball-Funktionär von den Nazis 1933 zum „1. Vorsitzenden“ des Hamburger Bezirks des Norddeutschen Sportverbandes gemacht wurde. Da wir aber keinen Beweis für eine NSDAP-Mitgliedschaft Bosses hatten, haben wir ihn auch nicht als als Nazi, sondern als Deutschvölkischen bezeichnet.
Für die Inszenierung eines PR-Spektakels reichte es dem Heimat- und Anzeigenblatt aber nicht, dass ein ETV-Funktionär möglicherweise „nur“ ein Deutschvölkischer gewesen war: er musste schon ein NSDAP-Mann sein, wenn man Aufmerksamkeit erregen und Antifaschisten täuschen wollte. Also hat man es nicht dabei belassen, unsere Rechercheergebnisse einfach abzuschreiben, sondern sie noch durch eine „Sensationsmeldung“ ergänzt. Auf Beweise und Quellenangaben kam es dabei selbstverständlich nicht an. Dass Bosse auch Mitglied der NSDAP gewesen sein könnte, haben wir nie ausgeschlossen. Eine solche Mitgliedschaft aus Spektakel-Gründen aber einfach zu behaupten, wäre auch dann als Schwindel zu bezeichnen, wenn entsprechende Beweise morgen von UNS nachgeliefert werden könnten.
Seit dem 6. November 2009 gehen wir davon aus, dass August Bosse eine NSDAP-Mitgliedschaft trotz einiger Verdachtsmomente nicht beweiskräftig nachgewiesen werden kann. Denn obwohl Bosse von den Nazis in einem Nachruf von 1935 als einer der ihren bezeichnet wird (als „alter Kämpfer“), reicht das als konkreter und unabweisbarer Nachweis (so wie er uns im Fall Robert Finn gelungen ist) nicht aus. Sicher ist damit nur, was wir seit 2006 auf der Grundlage unserer Recherchen für wahrscheinlich hielten: Dass der ETV-Mann August Bosse in der „Machtergreifung“ der Nazis eine gute Voraussetzung zur Verwirklichung seiner Vorstellungen sah. Wir wären daher nicht überrascht gewesen, wenn Bosse der NSDAP beigetreten wäre. An unserer Kritik an dem Heimatblatt Eims-Net hätte ein solches Ergebnis jedoch nichts geändert, denn in dieser Kritik geht es darum, dass das Anzeigenblatt August Bosse zunächst beliebig und ohne Beweise und Quellen zu nennen, abwechselnd als „Mitläufer“ und NSDAP-Mann bezeichnet, um dann aber in einer Headline so zu tun, als wisse man es ganz genau.
Dem Anzeigenblatt ist es ohnehin egal, wer und was Bosse war. Für die Entscheidung, ihn als NSDAP-Mann zu bezeichnen, war eben nicht die historische Wahrheit relevant, sondern allein der PR-Effekt. Wenn die historische Wahrheit daher zufällig dem PR-Slogan entsprochen hätte, würde das an dem PR- Zweck des Slogans nichts ändern. Das zeigen übrigens auch auch die verdeckten PR-Artikel des Reklame-Blattes für die Körber-Stiftung, die nach dem NSDAP-Mann Kurt A. Körber benannt ist. Ob die Benennung eines Platzes oder einer Stiftung nach einem Nazi zur Schlagzeile eines Werbeblattes taugt, hängt nicht von der Sache selbst ab. Das Thema Bosse-Platz wurde von dem Heimatblatt nur zum Spektakel gemacht, weil es durch unsere Aufklärungsarbeit, die man kostengünstig kopieren konnte, bereits eine gewisse Aufmerksamkeit für das Thema gab, das man nun in eine Heimatgeschichte umschreiben will. So wird es möglich, dass ein Werbeblatt PR für die Stiftung eines Nazis macht, der sein Vermögen nicht zuletzt durch den Einsatz von Zwangsarbeitern machte, und dass zur selben Zeit aus einem Sportfunktionär, der kaum einen Text hinterlassen hat und der schon im Januar 1935 gestorben ist, ohne Beweis ein NSDAP-Mann gemacht wird.
Es ist keine Frage, dass der Schwindel mit der nicht bewiesenen und offenbar nicht durch eindeutige Dokumente überzeugend beweisbaren NSDAP-Mitgliedschaft Bosses am Ende vor allem dem ETV nutzen wird, denn dieser Verein hat auf die unbewiesene Behauptung des Anzeigenblattes bereits am 18.10.2009 mit einer eigenen Falschdarstellung reagiert:
Bosse könne (wie auch Sparbier) überhaupt KEINE „völkisch-antisemitische Einstellung nachgewiesen werden“.
Die Behauptung ohne Beweis der einen ist für die anderen also eine ideale Vorlage, um – ebenfalls ohne Beweis – genau das Gegenteil zu behaupten. Unsere Recherchen, bei denen sich übrigens beide Seiten „bedienen“, müssen dazu in den Hintergrund gedrängt werden, nicht zuletzt weil wir nicht bereit sind, sie zum Material einer historisierenden Erinnerungskultur zu machen.
Ähnlich wie im Fall Bosse ist es bei dem Turnerhakenkreuz, von dem das Anzeigenblatt – ebenfalls ohne jeden Beweis – behauptet:
„Dieses Kreuz ist mit Sicherheit kein Turnerkreuz, es ist und bleibt ein Hakenkreuz, das mit den vier Fs bewusst vermischt wurde.“
Die „Sicherheit“ dieses Urteils ist ebenfalls frei erfunden. Auch hier werden zwecks Inszenierung eines Spektakels unsere Untersuchungen zuerst kopiert und dann so verfälscht, dass es dem ETV nützt. Denn die Vorlage für dieses ETV-Kreuz, das die vier Fs der Turner windmühlenartig zum Turnerhakenkreuz verbindet, ist ja tatsächlich als eine spezielle Variante des älteren Turnerkreuzes entstanden und zwar zu einem Zeitpunkt als es die Selbstbezeichnung „völkisch“ bei den Turnern noch nicht gab. Aus diesem Grund nennen wir das ETV-Kreuz seit 2006: „Turnerhakenkreuz“.
Wir haben immer gesagt, dass es für die Begründung der Forderung, dieses ETV-Kreuz zu entfernen, ausreicht, dass dieses Kreuz AUSSIEHT wie ein NS-Hakenkreuz. Wenn man sich aber, weil die politischen Verhältnisse in Eimsbüttel so sind wie sie sind – der Hinweis auf die Ähnlichkeit zum NS-Hakenkreuz beeindruckt hier niemand – , darauf einlässt, die Entstehungsgeschichte DIESES rechtsdrehenden Kreuzes zu rekonstruieren, dann muss man den Nachweis bringen, dass dieses ETV-Kreuz (wie auch das linksdrehende Kreuz an der selben Wand!) bereits zum Zeitpunkt seiner Anbringung als antisemitisches (aber vornationalsozialistisches) Kreuz gedeutet werden konnte und auch so gedeutet wurde.
Da die Macher des Heimat- und Anzeigeblattes darüber selbstverständlich außer dem, was sie darüber auf unserem weblog gelesen haben, absolut NICHTS wissen, ist ihre „mit Sicherheit“ vorgebrachte „historische Erklärung“ auch nur ein weiterer Schwindel.
Den exakten (und nicht nur deduktiven) Nachweis zu erbringen, dass das ETV-Kreuz bereits zum Zeitpunkt seiner Anbringung auch als antisemitisches Kreuz gedeutet wurde, ist durchaus keine einfache Angelegenheit. Man findet die entsprechenden Belege auch nicht über Google. Auf unserem weblog haben wir einige Hinweise gegeben, aber für die Publikation der wichtigsten Belege wollten und wollen wir einen passenden Zeitpunkt abwarten. Tatsächlich gab es ja Anfang Oktober 2009 KEINEN besonderen politischen Grund dafür, warum das, statt 2007 und 2008, nun im Herbst 2009 geschehen soll. (Das PDF-Anzeigenblatt wählte diesen Zeitpunkt, um seine fallende Klickrate zu erhöhen). Ein ernsthafter zweiter Anlauf in dieser Sache hätte dem ETV eine Wiederholung seiner Ausreden von 2006 unmöglich machen müssen. Doch nun ist eine Situation entstanden, in der es dem ETV leicht fällt, sein Turnerhakenkreuz weiterhin als bloß „umstritten“ darzustellen.
• Mediale Inszenierungen stellen die ökonomischen und politischen Hierarchien nicht in Frage stellen, sondern verstärken sie. Sie sind antikritisch, weil sie verschweigen, nach welchen Regeln und unter welchen Voraussetzungen zum Beispiel das Hamburger Abendblatt über den Großverein ETV schreibt. Mediale Inszenierungen machen dort, wo es auf persönliches Engagement ankäme (und die Bereitschaft, die damit verbundenen sozialen Risiken einzugehen), aus politischen Subjekten ein „Publikum“, das passiv darauf wartet, wie sich die „relevanten Akteure“ (Staatsanwälte, Parteien, ETV etc.) entscheiden.
Aber OHNE eine direkte Konfrontation, OHNE das Eingehen der damit verbundenen sozialen Risiken und OHNE Bezug zur heutigen Machtposition des Großvereins ETV, kann die Thematisierung der völkischen und nationalsozialistischen Vergangenheit des ETV nur als symbolische Vergangenheits-Sanierung und kostengünstige Wiedergutwerdung des ETV enden: Unter dem Beifall des Hamburger Abendblattes und der diversen Anzeigenblätter werden der ETV und jene Kritiker, denen das Image von Eimsbüttel am Herzen liegt, gemeinsam zwei Schlussstrich-Tafeln enthüllen, auf denen Opfern und Tätern gleichzeitig gedacht werden wird – nach dem Vorbild der Anfang der Neunziger auf dem Boden der Neuen Wache in Berlin angebrachten Inschrift: „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“.
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Weil die Thematisierung der völkischen und nationalsozialistischen Vergangenheit heute unter ganz anderen Voraussetzungen stattfindet, als das vor drei Jahren der Fall war, wird sie mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Einebnung des Unterschieds zwischen Tätern und Opfern und auf ihre Einfügung in die Eimsbüttel „Heimatgeschichte“ hinauslaufen. Das zeigt ein
Vergleich der politischen Situation von 2006 und 2009:
2006
(1) Bis 2006 existiert das Thema ETV-Vergangenheit überhaupt NICHT. Zwischen 1948 bis 2006 hat der ETV in seinem Vereinsorgan unzählige Artikel veröffentlicht, in denen die völkische und nationalsozialistische Vergangenheit geradezu gefeiert wurde. Daran änderte auch die Zeit der Lehrlings- und Studentenbewegung am Ende der 1960er Jahre nichts. Im Gegenteil: In den 1970er und 1980er Jahren verteidigt der ETV sein „Erbe“ besonders heftig.
(2) Die völkische und nationalsozialistische Vergangenheit des Eimsbütteler Turnverbandes wurde erstmals seit 1945 im Rahmen der Auseinandersetzung um die Privatisierung, Christianisierung und Bebauung der öffentlichen Freifläche Sparbierplatz zum Thema. Dieses Vorhaben war ein gemeinsames Projekt von Schillpartei/Beust-Senat, der evangelikalen Klinikkette Agaplesion AG und des „Traditionsvereins“ ETV. Der ETV spielte bei der Durchsetzung des Bauprojektes eine zentrale Rolle. Obwohl dem ETV diese Fläche nicht gehörte, berief sich der Rechtssenat auf die „Zustimmung“ des Großvereins zur Privatisierung der Fläche. Dafür wurde der ETV mit Millionenzahlungen belohnt.
Der Widerstand gegen die Bebauung fand seinerzeit auch im ETV selbst statt. Die Initiative gegen die Bebauung des Sparbierplatzes wurde zeitweise von der Fußballabteilung und der Turnabteilung des ETV unterstützt. Viele Mitglieder und Unterstützer der Initiative waren auch ETV-Mitglieder. Erstmals in der 100jährigen Vereinsgeschichte gab es dort eine Opposition.
(3) Diese Opposition war von Beginn an mit massiven Repressalien der Vereinsführung sowie mit rechten Angriffen aus dem Vereinsmilieu konfrontiert. Gegen Flugblattverteiler/innen der Initiative wurde auch schon mal die Polizei gerufen und im ETV-Magazin erschien 2004 ein Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die Initiative.
Der Verdacht, dass diese repressiven Praktiken auch mit der Vergangenheit des ETV zu tun haben, erhärtete sich, als der Verein ab März 2006 seine 100jährige Fußballgeschichte feierte und in Artikelserien seine NS-Vergangenheit aufleben ließ.
Damals beschloss die Initiative, die ETV-Vergangenheit näher zu untersuchen. Zu diesem Zeitpunkt gab es NICHTS, worauf wir uns hätten stützen können. Keine Artikel, kein leicht zugängliches Material, keine fertige Dokumentation, keine Vorarbeit. Daher dauerte es noch einige Monate, bevor wir im September 2006 unser erstes Flugblatt verteilen konnten.
(4) Es gab schon vor uns Einzelpersonen, die sich an der „Traditionspflege“ dieses Vereins gestört hatten. Aber mit der Initiative gab es erstmals eine politische Gruppe mit einer gewissen Sprechmacht, die auch organisatorisch in der Lage war, diese Zusammenhänge zum Thema zu machen.
Dabei war die Initiative NICHT auf die Lokalmedien angewiesen. Durch Flugschriften und durch die Präsenz im Verein war eine direkte Einwirkung möglich. Und durch den Zusammenhang mit dem Widerstand gegen das 100-Millionen-Euro-Projekt der Privatisierung und Bebauung des Sparbierplatzes, war ein hochpolitischer Aktualitätsbezug gegeben: Alles was das Privatisierungsvorhaben betraf, war automatisch auch „Chefsache“ von Ole von Beust. Unser erstes Flugblatt zu Robert Finn war deshalb auch ohne Lokalmedien ein politisches Ereignis.
(5) Uns war klar, dass wir auch auf Medienberichte angewiesen waren, wenn wir den Druck auf den ETV zur Umbenennung der Robert-Finn-Halle erhöhen wollten. Flugblätter, interne Diskussionen und Veranstaltungen allein hätten ihn nicht beeindruckt. Uns war aber auch klar, dass die Lokalmedien, sofern sie überhaupt reagieren, dies nur zu IHREN Bedingungen tun werden. Als Haupthindernis erwies sich schnell die Verbindungen des Themas mit dem aktuellen Bauvorhaben des Rechtssenats. Als davon losgelöstes „Historikerthema“ wäre ein Bericht über die „Verstrickungen“ des ETV vielleicht noch denkbar gewesen, nicht aber als Enthüllung einer Initiative, die den ETV auch als Betreiber der Privatisierung des öffentlichen Raumes angreift.
(6) Außer in der Programmzeitschrift „Transmitter“ des Radiosenders FSK haben wir lange Zeit keinen Artikel in den Medien untergekriegt. Wir sprachen am Rande der Ausstellung „Verstummte Stimmen“ mit dem damaligen Abendblatt-Chef Menso Heyl. Ohne Erfolg. Wir sprachen mit der TAZ-Hamburg. Dort lehnte man, verbunden mit dem Rat, „alte Männer in Ruhe zu lassen“, jede Berichterstattung ab. Auch die Hamburger Morgenpost zeigte kein Interesse. Man habe erst kürzlich etwas über Nazis gebracht.
Erst durch einen Kontakt zu dem bei antifaschistischen Themen sehr engagierten Chefreporter Olaf Wunder gab es plötzlich eine Möglichkeit. Olaf Wunder ging es nicht nur um die Nachricht. Er hat sich vor Ort mit uns umgeschaut, mit uns diskutiert und das Ergebnis unserer Recherchen abgewartet. Entscheidend war jedenfalls, dass die Auseinandersetzung von 2006 nicht als mediales Thema begann und angelegt war. Lange bevor der erste Bericht in der Hamburger Morgenpost kam (am 21.12.2006), war die ETV-Vergangenheit schon Gegenstand sehr direkter Auseinandersetzungen.
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2009
(1) Wer 2009 etwas zur ETV-Geschichte wissen will, findet dazu kompakte Informationen fertig vor. Es sind die Dokumente & Kommentare auf unserem weblog sowie drei Artikel der Hamburger Morgenpost, die seinerzeit über unsere Recherchen und Auseinandersetzungen berichteten.
(2) Drei Jahre später ist auch die politische Situation eine völlig andere. Das „Diakonieklinikum“ steht nun auf dem privatisierten Sparbierplatz und der ETV hat sich den Rest des Sparbierplatzes, für den der Senat Kunstrasen im Wert von 5 Millionen Euro „gespendet“ hat, angeeignet. Die Berichterstattung über die christlich-rechtsökologische Isebek-Initiative ist an die Stelle der Berichte über die Privatisierung des Sparbierplatzes getreten.
Da die Auseinandersetzung um die Bebauung des Sparbierplatzes seit Mitte 2008 Geschichte ist, kann man unser Material zur ETV-Geschichte heute ohne Bezugnahme auf die Umstände und Gründe seiner Entstehung rezipieren. Aus Sicht von Senat & Bezirk stellt das Thema keine Gefahr mehr dar. Auch die Lokalmedien können jetzt darüber schreiben, ohne Gefahr zu laufen, eine Verbindung zu dem Bebauungsstreit herstellen zu müssen. Unsere Rechercheergebnisse sind schon von daher leicht zu entkontextualisieren. Wenn man den Absender dieser Untersuchungen unterschlägt, wirken sie wie Informationen, die keine Autoren haben. Man kann sich hier also ohne eigenes Risiko bedienen.
(3) Den Anfang machte, wie auf diesen Seiten beschrieben, ein von PR-“Journalisten“ betriebenes kommerzielles Heimat – und Anzeigenblatt. Es inszenierte durch Verfälschung des vorgefundenen Materials ein Spektakel, indem es August Bosse ohne Beweis zum „hochrangigen Nazi“ erklärte und eine „Hammer & Meißel-Party“ ankündigte. Auf diese PR-Kampage stiegen nun ausgerechnet jene Lokalmedien ein, die 2006 von dem Thema nichts wissen wollten. Auch sie hat es nur einen Mausklick gekostet.
(4) Da etliche Macher des Anzeigenblattes aus politpopulistischen Milieus kommen (Regenbogen, GAL, WASG, PDS), verfügen sie auch über Verbindungen zur Partei DIE LINKE. Während sich jedoch die (desaströse) Parteigruppe Eimsbüttel, die wegen ihrer Querverbindungen zum ETV schon 2006 von dem Thema nichts wissen wollte – die Bezirksabgeordnete Dahaba saß früher im ETV-Vorstand und hatte dort für die Privatisierung des Sparbierplatzes gestimmt – aus der Sache heraushielt, wendeten sich die Anzeigenblattmacher mit der Falschmeldung vom NSDAP-Mann Bosse und einem politisch falschen, aber ohnehin nur als Werbegag gemeinten Aufruf zu einer „Hammer & Meißel-Party gegen ein Hakenkreuz“ an Antifaschisten, die bisher nie von dem Thema gehört hatten. Auch für diese (es sind etwa 15 Personen) war dann unsere Internetplattformen die einzige Informationsquelle. Das gilt auch für das „Hamburger Abendblatt“ und das „Eimsbüttler Wochenblatt“ (die unser weblog als eine Art Eimsbüttel-Wikipedia nutzen) sowie für die fünf Anwälte der Linken, die einige Tage später eine Strafanzeige gegen den ETV stellen.
(5) Nachdem im Jahr 2009 für den ETV, für die Eimsbüttler Parteien, für den Senat und für die Lokalmedien beim Thema „ETV-Vergangenheit“ nichts mehr auf dem Spiel steht, weil es jetzt viel einfacher ist, zwischen Vergangenheit und aktuellem Handeln einen dicken Strich zu ziehen, ist man in Hamburg-Eimsbüttel sogar darüber erleichtert, dass nun Akteure auftreten, die (a) entweder mit den Auseinandersetzungen von 2006/2007 nichts zu tun hatten (also auch nichts über die Praktiken des ETV in den letzten Jahren und seine enge Verbindung zu Senat und Bezirk wissen) oder die (b) sogar ganz absichtlich diese Zusammenhänge entwirklichen wollen. Sobald jedoch die Abtrennung der Vergangenheit von der Gegenwart gelingt, wird es auch möglich, dass sich alle Seiten auf ein Schlussstrich-Ritual einigen, das es dem ETV endlich ermöglicht, intern zu einem Ausgleich zwischen den „Altfreunden der Tradition“ und der jüngeren BWL-Fraktion zu kommen und sich dann endlich ganz dem aktuellen Geschäft auf dem Sport- und Gesundheitsmarkt zu widmen.
(6) Fazit: Mit dem oben verwendeten Begriff „Schwindel“ ist der Zusammenhang, um den es hier geht, offensichtlich nicht hinreichend beschrieben: Mit dem Instinkt von Heimatschützern haben hier einige Anzeigenblattmacher tatsächlich herausgefunden, wie „Eimsbüttel“ eine gegenwärtige „Vergangenheit bewältigen“ kann, an der sich niemand stört. Wie man sich das vorzustellen hat, steht bereits in einem anderen Anzeigenblatt:
„Darüber hinaus soll außerdem der Gedenkstein vor dem Haus modifiziert werden. Es reiche einfach nicht mehr aus, `nur´ der gefallenen Kameraden zu gedenken.“ (Eimsbüttler Wochenblatt, 5. November 2009)
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Die Rechercherergebnisse seit 15.11.2009

Hamburger Anzeiger vom 22. und 25. Januar 1935
Im Oktober 2009 versuchte das Heimat- und Anzeigenblatt Eims-Net mit „skandalträchtigen“ Headlines seine sinkende Klickrate zu erhöhen. Auf der Basis unserer Recherchen verfertigte das PDF-Blatt einen „Nazi-Titel“ mit den Themen „Nazi-Bosse“ und „ETV-Nazi-Hakenkreuz“. PR-Journalisten wissen, dass der „Spiegel“ mit „Nazi-Themen“ deshalb so häufig titelt, weil sie sich ganz besonders gut verkaufen.
Die eigenartige Faszination, die von dem Nazi-Thema offensichtlich ausgeht, hat mit Antifaschismus nichts zu tun. Anders als zum Beispiel in Spanien oder Italien hat das deutsche Bürgertum weder vor 1933 noch nach 1945 einen bürgerlichen Antifaschismus entwickelt. Die Integration des Bürgertums seit dem 19. Jahrhundert in die jeweils bestehende autoritäre oder antirepublikanischen Herrschaft war vollständig. Ideologische Überschneidungen gab es auch bei den Liberalen immer nur mit den antirepublikanischen Rechten und nie mit den Linken. Die großen völkisch-antisemitischen Organisationen und dann die Nazis rekrutierten ihre Anhänger aus dem Mittelstand und dem Bildungsbürgertum. Nach 1945 hatte dann der Widerstand gegen den Osten in sich selbst eine Dynamik, welche das in Deutschland Vergangene aktualisierte:
„Indem die westliche Welt als Einheit sich wesentlich durch die Abwehr der russischen Drohung bestimmt, sieht es so aus, als hätten die Sieger von 1945 das bewährte Bollwerk gegen den Bolschewismus nur aus Torheit zerstört, um es wenige Jahre danach wieder aufzubauen.“ (Adorno).
Die Republik, die dann im Westen entstand, war dem Bürgertum nie genug. Seit 1990 heißt dieses Land nicht mehr REPUBLIK, sondern einfach nur noch „Deutschland“. Heute sind es die Dauersiegesfeiern zum Mauerfall, in denen sich das Ressentiment des deutschen Bürgertums austobt. Sein Interesse an Hitler & Hakenkreuzen ist eine Art ständige Rückversicherung bei der Frage, wie die neue Vormachtstellung in Europa diesmal erfolgreicher erreicht werden kann. Dass man als guter Deutscher die „Vergangenheit bewältigt“ hat und selbstverständlich – mit Blick auf die Exporte – „gegen Nazis“ ist, gehört seither zum Selbstbild des Bürgertums. Seit dieses im Jahr 2000 von Kanzler Schröder zum „Aufstand der Anständigen“ ausgerufen wurde, gehören unverkrampftes Deutschlandfahnenschwingen und symbolisches „Zeichen setzen gegen Rechts“ zusammen, wobei man aber auf einer klaren Trennlinie zwischen nationaldemokratischer und „einseitig antifaschistischer Gesinnung“ besteht, die im Verdacht steht, die Verbrechen des Kommunismus zu rechtfertigen.
Die PR-Kampagne des Heimat- und Anzeigenblattes will dieses Selbstbild der „Anständigen“ bedienen. Das Thema „Hakenkreuz“ ist daher als Angebot zum Wohlfühlen aufbereitet. Es kostet nichts, dagegen zu sein, und stärkt das Gefühl, voll im 21. Jahrhundert der gesamteuropäischen Moderne angekommen zu sein. Doch das ist nur das Idealbild: Im konkreten Fall, dort wo es um lokale und generationale Zusam- menhänge geht, bleibt das Eimsbüttler Bürgertum deutlich reserviert, solange nicht klar ist, ob da nicht doch eine Anklage dahinter steckt.
Vor diesem Hintergrund und weil das Heimat- und Anzeigenblatt unsere Rechercheergebnisse nicht nur geklaut, sondern auch gegen unsere politischen Intentionen gewendet hat, haben wir uns die Mühe gemacht, die unbewiesenen Behauptungen, die das PDF-Blatt seiner Mixtur willkürlich hinzugefügt hat, zu überprüfen. Dabei ging es im Wesentlichen um die beweisfreie Behauptung, man wisse genau, dass der ETV-Funktionär August Bosse ein Nazi war. Ihrer Behauptung stehen die Anzeigenblattmacher selbst völlig indifferent gegenüber, eben weil ihnen das „Nazi-Thema“ nichts bedeutet außer PR. Es macht ihnen nichts aus, Bosse gleichzeitig als Mitläufer und Kriegsverbrecher zu bezeichnen.
Soll man eine unbegründete, rein willkürliche und nur PR-Kriterien folgende Behauptung überhaupt wiederlegen? Man muss es tun, denn diejenigen, die wirkliche antifaschistische Arbeit machen und deren Material das Anzeigenblatt „abgriff“, können es nicht dulden, dass aus PR-Gründen mit „Nazis“ herungefuchtelt wird, weil sie nur in der wahrheitsgemäßen Darstellung des Zusammenhangs von Vergangenheit und Gegenwart ihre Argumente entwickeln können. Es muss klar sein, dass jene, die WIR als Deutschvölkische oder Nazis bezeichnen, auch welche sind und es muss dabei um zurechenbare Sachverhalte und aktuelle Zusammenhänge gehen.
Wir haben uns deshalb die Mühe gemacht und einige Tage in den einschlägigen Archiven zu Bosse recherchiert. Das Ergebnis dieses ersten Durchgangs, das, wie wir dazu sagten, nie ein abgeschlossenes sein kann, ist auf diesem weblog nachzulesen. Wir haben immer betont, dass es möglich ist, dass Sparbier und Bosse auf ihre alten Tage noch zu den Nazis übergetreten sind. Uns interessieren ja gerade die Übergänge zwischen deutschvölkischer und nazistischer „Ideologie“, weil wir, was im ETV tatsächlich geschehen ist, genau beschreiben wollen.
Bei einer solchen Recherche gibt es immer wieder die Situationen, dass bestimmte Dokumente gerade nicht verfügbar sind. Das war der Fall mit einigen Mikrofilmen in der Hamburger Staatsbibliothek, die dort unauffindbar waren. Nach Abschluss unserer übrigen Recherche bekamen wir eine Benachrichtigung der Staatsbibliothek, dass die verschollenen Filme wieder da sind. Eine interne Arbeitsgruppe hatte vergessen, sie wieder einzuordnen. Auf einem dieser Filme fanden wir dann eine zweite Meldung über die Beerdigung von Bosse sowie zwei Todesanzeigen der Sportverbände. Beide Dokumente sind seit 15. November 2009 hier einzusehen. Diesen Fund wiederum nahmen wir zum Anlass, noch einigen anderen potentiellen Spuren nachzugehen. Nachdem wir nochmals das ganze Material gesichtet hatten, wurde uns klar, dass man im Fall Bosse nicht nur die Sportakten anschauen muss, sondern auch die Lehrerakten. Denn Bosse war Lehrer von Beruf, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass er sich auch als Freund des Vaterländischen Schul- und Erziehungswesens engagiert hat. Wir sind auf einige Spuren gestoßen und dabei besonders häufig auch Bosses Kollege Sparbier begegnet, der schon seit 1905 in der vaterländisch orientierten Lehrerschaft sein nietzscheanische Ideal vom „Wille zur Macht“ propagierte. Wir werden darauf an anderer Stelle eingehen.
Der zweite von uns gefundene Nachruf erschien im „Hamburger Anzeiger“. Man muss über dieses Blatt einiges wissen, um den Nachruf beurteilen zu können. Der „Hamburger Anzeiger“ war nach seiner Verschmelzung mit der „Neuen Hamburger Zeitung“ im Jahr 1922 eine relativ anspruchsvolle liberale Zeitung und zugleich die größte in Hamburg. Mitte 1933 setzten der Hamburger Nazi-Senat und die NSDAP-Gauleitung den Pg. Hans Jacobi als „Hauptschriftleiter“ein. Der machte aus der Zeitung in Windeseile eine Nazizeitung, die noch die lokalen Parteiorgane in den Schatten stellte. Im Herbst 1934 verkündete Jacobi:
„Die Betriebszelle des Hamburger Anzeigers steht auf nationalsozialistischer Grundlage und bildet ein treues, zuverlässiges und geachtetes Glied in der Gemeinschaftsfront, die freudig dem Rufe des Führers folgt.“
Die Redaktion war fast komplett ausgewechselt worden. Parteinachrichten und Meldungen von DAF, NSV und dem Nationalsozialistischen Lehrerbund, nicht zuletzt aus Eimsbüttel (Wilhelm Tegeler, Carl-August Militz, Franz Klamet, Ernst Goldberg etc.), wurden nun groß herausgestellt.
Vor diesem Hintergrund ist der offenkundige Unterschied zwischen den Nachrufen auf Bosse im Hamburger Fremdenblatt und im Hamburger Anzeiger zu bewerten. Während das Fremdenblatt eine Parteinähe von Bosse durch die Formulierung „Alter Kämpfer“ nur andeutet, heißt es im Anzeiger, dass die Namen auf den Schleifen der Kränze „vom Lebenswerk“ Bosses kündeten: „Deutscher Fußball-Bund, seine nordwestdeutschen Gaue und hamburgischen Vereine, die Deutsche Turnerschaft, Kreis Hamburg, Bezirk 2, das Amt für Leibesübungen, das Jugendamt Hamburg, die Gesundheits- und Fürsorgebehörde Hamburg, die NSDAP, Amt für Beamte, Fachschaft Jugendamt – um nur einige aus der großen Fülle der Abschiedsspenden zu nennen.“ Und nach deutlicher: Und „dann sprachen die Vertreter der der Organisationen, in deren Reihen August Bosse der Mission seines Lebens gedient hat. Pg. Valette im Namen des Kreises Hoheluft der NSDAP, Dr. Riebow namens des Bundesführers des Deutschen Fußball-Bundes und des norddeutschen und hamburgischen Fußballsports, Rektor Sparbier für den Eimsbüttler Turnverband und ein Vertreter des Jugendamtes.“ Die Parteizeitung muss es wissen: Die NSDAP gehörte also zu den zahlreichen „Organisationen, in deren Reihen August Bosse der Mission seines Lebens gedient hat“.
Es war damals nicht üblich, eine solche Mitgliedschaft zu erfinden, wohl aber, ihre Bedeutung möglichst zu erhöhen. Doch das geschieht hier nicht. Bosse wird als Mann der Partei bezeichnet, aber selbst hier, im Hamburger Anzeiger des Pg. Jacobi, erfährt man keine Details, keinen Hinweis auf eine Parteifunktion, auf das Eintrittsdatum und keinen Hinweis auf eine besondere Leistung die Bosse in oder für die Partei erbracht hat.
Wir nehmen inzwischen an, dass Bosse über deutschvölkische Lehrerverbände wie den Lehrerbund der Deutschvölkischen Partei zum Hamburger Lehrerbund der Nazis kam. Die Mitglieder der Hamburger NSDAP und der SA kamen über eine Vielzahl verschiedener deutschvölkischer Organisationen zur Nazipartei bzw. zu ihren Umfeldorganisationen. Nach 1933 bemühten sich außerdem die Mitglieder vieler völkischer Parteien, ihre Gruppierung nachträglich in die Ahnenreihe der „Bewegung“ zu stellen. Fünf oder sechs Jahre vorher sah es noch ganz anders aus. Es kam immer wieder zu Richtungsstreit zwischen den völkisch und nationalsozialistischen Strömungen in den „Vaterländischen Verbänden“. Deutschvölkische und Nazis standen ab der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in erbitterter Konkurrenz zueinander. Zwischen Stahlhelm und SA gab es sogar gewalttätige Auseinandersetzungen. Noch Anfang Januar 1933 wurde der Hamburger Stahlhelm-Führer von einem SA-Mann niedergestochen. Die Deutschvölkischen, die nach der Revolution von 1918/19 an Zahl und Mitgliederstärke rasch zugenommen hatten, waren den Nazis zu bürgerlich und parlamentarisch. Umgekehrt hatten sich Organisationen wie die Deutschvölkische Beamtenvereinigung und der antisemitische Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband bis zuletzt noch nicht für die Nazis entschieden.
Vom Antisemitismus bis zu der rassenbiologisch begründeten Vorstellung vom Lebensraum, hatten die Nazis alles übernommen, was die Deutschvölkischen schon vor 1914 entwickelt hatten. Die Differenzen zwischen Völkischen und Nationalsozialisten lagen nicht so sehr auf dem Gebiet der Ideologie (einige Deutschnationale waren allerdings Monarchisten), sondern auf dem der Organisation. Vielen von ihnen passte das Konzept einer straff organisierten Massenpartei nicht und viele waren nicht unbedingt Anhänger der grenzenlosen Anwendung politischer Gewalt, wie sie die SA praktizierte.
Ab 1932 wuchs die Zahl der Deutschvölkischen, die zur NSDAP wechselten. Nach dem 30. Januar 1933 kam es in Hamburg recht schnell zur Selbstauflösung der deutschvölkischen Organisationen. Vor allem führende Funktionäre (und Abgeordnete) der DNVP, der DVP , des ADV, des Hamburger Kriegerverbandes, des Akademikerbundes und des Stahlhelm erklärten nun öffentlich ihren Übertritt. Im August 1933 hatten sich die Deutschvölkischen Organisationen praktisch aufgelöst, wenn auch nicht komplett in die NSDAP [*].
→ Es ist wahrscheinlich, dass Bosse im Zuge dieser Entwicklung zur NSDAP kam, ohne dort aktiv gewesen zu sein. August Bosse, zunächst Lehrer und dann Inspektor der Jugendfürsorge sowie sein ebenfalls im ETV aktiver Bruder Hans Bosse (beide: Gneisenaustraße 43, Hamburg 30) bewegten sich, wie wir nun herausfanden, seit etwa 1920 im Umfeld der DNVP. In diesem Zusammenhang gibt es noch eine andere Möglichkeit:
→ Der Status „Alter Kämpfer“ wurde ab Juni 1933 allen Deutschvölkischen zuerkannt, die zwischen 1919 und 1924 in Hamburg zu einer der Mitgliedsorganisationen der späteren Deutschnationalen Front gehörten, zu einem Zeitpunkt also, als es die NSDAP in Hamburg noch nicht gab.
Für diese Varianten des Übergangs sprechen einige Fakten und Dokumente, die wir (wenn wir die Copy & Paste-“Historiker“ von Eims-Net los sind) an anderer Stelle genauer darstellen werden. Die wenigen Äußerungen, die von Bosse bekannt sind, ergeben das Bild eines eher plump und pragmatisch agierenden Deutschnationalen und eines Opportunisten, der sich erst mit Beginn der „Machtergreifung“ der Nazis öffentlich zu diesen bekennt. Im Vergleich zu den ambitionierten Ideologen Sparbier und Finn trat Bosse vor 1933 nicht besonders „ideologisch“ auf (Ein Beispiel, auf das wir noch eingehen werden, ist die Einweihung der Tribüne des Hoheluft-Stadions des ETV). Obwohl deutschvölkisch orientiert, war Bosse seit seiner Jugend ein großer England-Fan. Er bewunderte alles, was aus England kam, vor allem die Sportarten. Diese England-Bewunderung war ab 1933 nicht mehr opportun:
„Wir sind gewiss nicht frei gewesen von einer im Grunde unberechtigten Hochachtung vor allem Englischen. Englischer Fußball, englisches Tennisspiel, englisches Boxen hat uns als Ideal vorgeschwebt bis in die alberne Nachahmung englischer Fachausdrücke“
heißt es 1940 im „Eimsbütteler“. Im März 1935 erscheint in der Vereinszeitung des ETV ein zweitseitiger Nachruf auf Bosse. Er zeichnet das Bild eines scheinbar „unpolitischen“ Sportfunktionärs, der noch auf dem Sterbebett nur eines wissen will: Wie das Spiel des ETV in Lübeck ausgegangen ist. Von einer Parteimitgliedschaft oder -Tätigkeit ist keine Rede, obwohl dieser Text immerhin der offizielle Nachruf ist und obwohl der ETV mit einem „großen Nazi“ gut hätte punkten können. Bei allen anderen, inklusive Sparbier, wird ab Januar 1933 ständig herausgestellt, dass sie im Herzen immer schon Nationalsozialisten waren.
Um zu verstehen, welche „Traditionslinien“ heute im ETV weiterwirken und auch bewusst tradiert werden, muss man die einzelnen ideologischen Strömungen von damals im Detail betrachten. Der ETV hatte ein halbes Dutzend ambitionierte Ideologen, aber die wichtigsten und nach unserer Meinung bis heute wirkungsmächtigsten darunter sind zweifellos Sparbier und Finn.
Was andere völlig willkürlich und ohne jeden Beweis einfach behauptet haben, haben wir also nun sehr umfassend recherchiert. Wie wir oben sagten, waren alle Behauptung des Anzeigenblattes über Bosse – er wurde gleichzeitig „Mitläufer“ und „Nazi“ genannt – ein Schwindel, weil beide Behauptungen frei erfunden waren.
Zur Frage, wer und was Bosse war, können wir nun einiges sagen. Dazu gehört auch die Feststellung, dass die Quellenlage unbefriedigend ist. Einige Spuren verfolgen wir noch (es ist aufwendig). Vor allem aber: Als definitiver und endgültiger Beweis für eine NSDAP-Mitgliedschaft Bosses kann auch der von uns gefundene Nachruf im Hamburger Anzeiger nicht gewertet werden, da es offenbar keinen Eintrag in der Mitgliedskartei und keinen Parteiausweis gibt. Hinzu kommt: Falls Bosse auf einem der oben genannten Wege Nazi wurde, so wird er das vor 1933 nicht öffentlich gemacht haben. Wenn, dann war er wohl ein „stilles Mitglied“. Vor 1933 gab es im ETV die Regel, dass Vereinsfunktionäre nicht parteipolitisch auftreten. Der ETV war immer bemüht, an Kredite, Baugenehmigungen und Grundstückschenkungen heran zu kommen. Die dazu nötigen Kontakte zu Bezirk und Senat waren nur möglich, wenn man als Verein halbwegs neutral auftrat und sich auf die Bekundung der vaterländischen „Gesinnung“ beschränkte. Richtig Farbe bekannte man erst ab 1933.
[* Auch von denen, die zur NSDAP übertraten, erfüllten nicht alle die Erwartungen des NS-Regimes. Bekannt ist das Beispiel des Hamburger Oberschulrates Wilhelm Oberdörffer, der als Mitglied der DVP 1933 der NSDAP beitrat. Oberdörffer verschaffte dem jüdischen Professor Ernst Friedländer eine Stelle im Auslandsdienst und bemühte sich, den sozialdemokratischen Landesschulrat Ludwig Doermer in seinem Amt zu halten, was ihm nicht gelang. Mitte März 1933 gab das Hamburger Tageblatt bekannt, dass Doermer vorzeitig in den Ruhestand getreten sei. Für eine Übergangszeit wurde Prof. Wolfgang Meyer als kommissarischer Landesschulrat eingesetzt. Meyer, vorher Lehrer am Wilhelmgymnasium, war gut mit Sparbier bekannt und gehörte zu den Förderern des ETV. Endgültiger Nachfolger Doermers wurde mit Wilhelm Schulz der Amtswalter des NSLB. Der zuständige Senator war Karl Witt. Oberdörffer erklärte 1940 seinen Austritt aus der NSDAP. Doermer wurde im Oktober 1945 wieder Landesschulrat. Zu Meyer und Witt siehe auch hier].
(Wird fortgesetzt).
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„Hamburger Beobachter“ vom 7. Juni 1933. Letzte Ausgabe des Parteiorgans der DNVP-Hamburg mit der Bekanntgabe der Anerkennung der Deutschvölkischen als verdiente „Mitkämpfer des nationalen Deutschlands“.
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Information zur Initiative
Die Initiative gegen die Bebauung des Sparbierplatzes
wurde im August 2002 von Personen gegründet, die die Bebauung einer 22.000 qm großen öffentlichen Fläche im stark verdichteten Kerngebiet von Hamburg-Eimsbüttel verhindern wollten. 2001/2002 hatte die Schill-Partei/CDU-Koalition beschlossen, parallel zur Privatisierung der kommunalen Krankenhäuser die klerikalen Kliniken besonders zu fördern. Der öffentliche Raum Sparbierplatz (die letzte große Freifläche dieser Größe) sollte mit einer Filiale der 2002 gegründeten evangelikalen Klinikkette Agaplesion AG bebaut werden – in einem Gebiet mit hoher Krankenhausdichte und in unmittelbarer Nähe der Universitätsklinik. Dem klerikalen „Trägern“ sollte damit ein weiterer Konkurrenzvorteil auf dem neuen Gesundheitsmarkt verschafft werden. Zwecks Durchsetzung dieses Vorhabens holten sich Senat und Agaplesion AG den Großverein ETV als Legitimationsinstanz ins Boot. Dieser „Traditionsverein“, dem die öffentliche Fläche nicht gehörte, unterstützte die Bebauung, nachdem man ihm einen Anteil an der Privatisierungsbeute versprochen hatte.
Die Personen, die sich in der Initiative zusammenfanden, kannten einander vorher nicht. Die Ablehnung der Bebauung dieses öffentlichen Raumes wurde zunächst unterschiedlich begründet. Nach einem Anfang als typische „Bürgerinitiative“, war man sich schon bald einig, dass in der Auseinandersetzung mit dem Rechtssenat und der lokalen Sozialdemokratie, die im Namen von „Gemeinwohl“ und „Gemeinnützigkeit“ auftraten, eine partikulare und subalterne Betroffenheitsperspektive keine hinreichende Grundlage für einen voraussichtlich langwierigen Widerstand sein kann. Da es um die Bebauung eines sehr großen öffentlichen Raumes ging, dessen Erhalt auch jenen etwas bedeutet, die diese Fläche weder als Sportfreifläche nutzen, noch als Mieter in den angrenzenden Wohnhäusern mit den unmittelbaren Folgen konfrontiert sind, setzte sich in der Gruppe eine politische Sichtweise auf dieses Bebauungsvorhaben durch. Nachdem sich in der Initiative schließlich Sportler und Anti-Sportler, unmittelbare Nachbarn und weit weg Wohnende, Krankenhausbeschäftigte und beruflich ganz anders Orientierte engagierten, wurde die politische Einordnung dieses Privatisierungs- und Bebauungsvorhaben – die Schaffung des „Gesundheitsmarktes“, die Privatisierung und Christianisierung als gesellschaftspolitische Offensive der Gegenaufklärung, die „dichte Bebauung“ öffentlicher Räume als Variante der Gentrifizierung und die gezielte Bevorzugung des deutschen Vereinswesens – zum gemeinsamen Bezugspunkt.
Es ist der Initiative bis Juli 2008 gelungen, die Realisierung dieses „Leuchtturmprojekts“ des Beust-Senats zu verzögern und dadurch zu verhindern. In diesen sechs Jahren fanden die Treffen der Initiative (10 bis 20 Teilnehmer) wöchentlich statt. Die Initiative führte zahlreiche Veranstaltungen durch (zwischen 50 und 150 Besucher), verteilte regelmäßig Flugblätter und sammelte rund 7000 Unterschriften von Unterstützern ihres Widerstandes. Im März 2006 richtete die Initiative zusätzlich ein weblog ein, das bis Sommer 2008 praktisch tagesaktuell war. Weil es in dieser Zeit keine andere frei zugängliche Informationsquelle gab (die Klinikkette und der ETV waren in der Defensive und verzichteten daher auf eine Pressedokumentation), wurde dieses weblog nicht nur von den Bebauungsgegnern gelesen, sondern auch von allen, die aus anderen Gründen mit diesem Bebauungsvorhaben zu tun hatten – von Konkurrenten auf dem Gesundheitsmarkt, Geschäftspartnern, Behörden, Parteien, Vereinen, Krankenhausbelegschaften und Journalisten. Dadurch und weil die Internetveröffentlichungen immer eng mit dem öffentlichen Auftreten der Mitglieder der Initiative verbunden waren, hatten die Web-Veröffentlichungen stets reale Wirkungen. Es gab kaum eine Enthüllung, auf die unsere Kontrahenten nicht reagieren mussten.
Zu den Folgen gehörten auch juristische Klagen unserer Gegner. Da wir unseren politischen Widerstand ebenfalls durch juristische Einsprüche und Klagen gegen die Baugenehmigung flankierten, musste die Initiative erhebliche Geldsummen aufbringen. Hinzu kamen unsere Aufwendungen für Archivrecherchen. Etwa 15.000 Euro wurden in dieser Zeit durch private Spenden aufgebracht. Unsere ersten juristischen Einsprüche wurden von 32 Personen namentlich getragen und finanziert. Insgesamt haben rund 100 Personen die Initiative politisch und finanziell unterstützt.
Nach unserer Niederlage Mitte 2008 gab es keinen Grund mehr, mit dem bis dahin betriebenen Aufwand weiterzumachen. Der Zweck der tagesaktuellen Aktivitäten bestand ja in der Mobilisierung des Widerstandes und der direkten und aktuellen politischen Intervention. Die Initiative hat im Herbst 2008 beschlossen, weiterhin zu dokumentieren, wie unsere Kontrahenten, nachdem sie sich durchsetzen konnten, die Normalisierung dieses Privatisierungs- und Baubauungsprojektes betreiben. Außerdem geht es darum, zu zeigen, wie schon 2002 entwickelten Thesen über die langfristigen Geschäftsausweitungsstrategien der Gegenseite nun zur Tatsache werden. Für diesen Zweck reichen Treffen im größeren Abstand.
Unsere Veröffentlichungen werden nach wie vor von drei (auf allen Flugschriften jeweils namentlich genannten) „Sprecher/innen“ der Initiative verantwortet. Nach wie vor gilt auch, was wir schon hier gesagt haben: Flugschriften der Initiative – das bislang letzte Flugblatt wurde am 22. April 2009 verteilt – werden von der Mitgliederversammlung der Initiative erarbeitet und beschlossen. Andere Texte werden im Rahmen von Diskussionen von Arbeitsgruppen und einzelnen Autor/inn/en verfasst. Obwohl die Initiative ihre Aktivitäten im Vergleich zu den Jahren 2002 bis 2008 deutlich reduziert hat, existiert sie also weiterhin. Nachdem die Auseinandersetzung um die Bebauung Geschichte ist, gibt es von verschiedenen Seiten Versuche, die in dieser Auseinandersetzung gemachten Erkenntnisse zu delegitimieren, ihre Spuren (die sich sogar in der baulichen Form und der Art und Weise der Aufteilung der Privatisierungsbeute vergegenständlicht haben) unkenntlich zu machen und durch Normalisierungspraktiken den heutigen Zustand als selbstverständlich darzustellen. An diesen Praktiken sind inzwischen nicht nur die unmittelbaren Nutznießer dieses Privatisierungsprojektes beteiligt.
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Kommentierte Dokumente (und einige Zahlen) auf der nächsten Seite
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